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Web Summit in Lissabon: Wenn „Alternativmedien“ auf „Leitmedien“ treffen …

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Letzte Woche fand in Lissabon der Web Summit (WS), eine alljährliche Technologie-Konferenz statt, intern auch als „Davos der Tech-Branche“ benannt, mit über 70.000 Teilnehmern aus 160 Ländern. Am Rande kam es auf Initiative eines der Mitgründer von WS zu einer denkwürdigen Zusammenkunft. Rund 15 hochrangige Vertreter von internationalen Leitmedien aus den USA, England und Deutschland trafen auf Journalisten von „Alternativmedien“, um über das Thema „Desinformation“ und „Faktencheck“ zu diskutieren. Die NachDenkSeiten waren als einziges deutsches „Alternativ“-Medium eingeladen. Die Diskussion verlief zwischen produktiv und hitzig, angespannt. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Einleitende Anmerkung zum Verständnis über die Art der folgenden Berichterstattung: Die zwei aufeinanderfolgenden Paneldiskussionen zwischen Vertretern von Leit- und Alternativmedien im Rahmen des Web Summit in Lissabon, über die im weiteren Verlauf dieses Artikels berichtet wird, fanden unter der sogenannten „Chatham House Rule“ (Chatham-Haus-Regel) statt, die die Weitergabe von Inhalten vertraulicher Gespräche an Dritte regelt. Diese Regel lautet: „Bei Veranstaltungen, die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen.“ Es kann also nur in der Art, wie etwa auch über Bilderberg-Treffen geschrieben wird, bei dem übrigens auch die Chatham-Haus-Regel gilt, darüber berichtet werden.

Am Rande des Web Summits …

Im Rahmen des Web Summit in Lissabon, bei dem in diesem Jahr auch die Whistleblowerin Chelsea Manning zu Gast war, trafen bekannte Journalisten aus dem Feld der Mainstream-Presse und Vertreter von Alternativmedien in der portugiesischen Hauptstadt zusammen. In zwei aufeinanderfolgenden Diskussionsrunden wurden die derzeit wohl heikelsten Themen der modernen Medienwelt diskutiert. Die vorgegebenen Titel der beiden nichtöffentlichen Zusammenkünfte lauteten:

  1. „Misinformation“ a moral panic or a real crisis? („Fehlinformationen“ – moralische Panik oder echte Krise?)
  2. Fact-checking and trust in media (Faktencheck und Vertrauen in die Medien)

Etwas Kontext …

Das Treffen fand vor dem Hintergrund der Kontroversen um den Mitbegründer des Web Summit, den irischen CEO Paddy Cosgrave, statt, der erst kürzlich in seine Funktion als Vorstandsvorsitzender des WS zurückgekehrt war, nachdem er 2023 nach kritischen Äußerungen über Israels Vorgehen in Gaza zurücktreten musste. Zuvor hatten sich aus Protest gegen dessen Äußerungen große Technologiekonzerne wie Intel, Siemens, Google, Amazon und Meta vom WS 2023 zurückgezogen, ebenso hatte Robert Habeck damals seinen geplanten Besuch der Konferenz abgesagt. Cosgraves Rückkehr auf die Bühne und Leitung der Tech-Konferenz wurde von den genannten Tech-Vertretern in diesem Jahr sehr genau unter die Lupe genommen.

Der Auslöser für seinen kurzfristig erzwungenen Rücktritt 2023 war übrigens dieser Tweet:

„Ich bin schockiert über die Rhetorik und die Handlungen so vieler westlicher Staats- und Regierungschefs, mit Ausnahme insbesondere der irischen Regierung, die ausnahmsweise einmal das Richtige tut. Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, auch wenn sie von Verbündeten begangen werden, und sie sollten als das bezeichnet werden, was sie sind.“

I’m shocked at the rhetoric and actions of so many Western leaders & governments, with the exception in particular of Ireland’s government, who for once are doing the right thing. War crimes are war crimes even when committed by allies, and should be called out for what they are.

— Paddy Cosgrave (@paddycosgrave) October 13, 2023

Es war diese am eigenen Leib erlebte Cancel-Erfahrung, die den irischen CEO dazu motivierte, Medienvertreter aus unterschiedlichen Lagern im Rahmen des Web Summit zusammenzubringen. Ein in diesen Zeiten wohl relativ einmaliges Format, welches allerdings auf beiden Seiten durch Journalisten aus den USA und England dominiert wurde, ergänzt um drei deutsche Journalisten. Vertreter aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder auch Süd- und Osteuropa fehlten völlig.

Let’s start …

Ein hochrangiger Vertreter einer deutschen Rundfunkanstalt erklärte gleich bei seinem Eingangsstatement nach der allgemeinen Vorstellungsrunde, dass man hier ja unter Westlern sei und die eigentlichen Probleme der Pressefreiheit eher in autoritären Staaten wie Russland und China zu suchen seien. Als konkretes Beispiel verwies die Person dann darauf, dass ja etwa der deutsche Auslandssender Deutsche Welle (DW) im Februar 2022 vom Kreml mit einem Sendeverbot belegt worden sei. Darauf folgte die Nachfrage, ob es nicht etwas widersprüchlich sei, die Schließung der DW zu beklagen, aber gleichzeitig nicht zu erwähnen, dass diesem Schritt das Verbot von RT in Deutschland vorausgegangen war und ob dieses Verbot wiederum gutgeheißen würde. Die Erwiderung lautete, man habe die Schließung von RT in Deutschland nicht befürwortet und sich eine andere Lösung erhofft. Diese Haltung hätte man auch so kommuniziert.

Daran schloss sich unmittelbar ein weiterer Diskussionspunkt an, eingeleitet durch die Frage, wieso die sogenannten Faktenchecks die Tendenz hätten, „immer nur nach unten zu treten“. Gemeint war damit, dass Faktenchecks sich beinahe ausnahmslos nur gegen viral gegangene X-Tweets von privaten Nutzern oder Veröffentlichungen kleinerer Online-Portale richten, aber so gut wie kein Fall bekannt ist, in dem sich private Faktenchecker oder staatlich finanzierte (im deutschen Fall z.B. Correctiv und DW) mit Veröffentlichungen großer Medienhäuser oder Nachrichtenagenturen auseinandersetzen würden. Als konkretes Beispiel wurde angesprochen, dass etwa ein aktueller Faktencheck der DW („Faktencheck: Verstößt NATO-Präsenz gegen 2+4-Vertrag?“) die Darstellung eines viralen Tweets, dass es sich bei dem neuen maritim-taktischen Hauptquartier in Rostock um ein NATO-Hauptquartier handeln würde, als „falsch“ bezeichnet, aber die identische Betitelung bei Tagesschau, SPIEGEL, dem eigenen polnischen DW-Ableger und fast allen anderen Leitmedien völlig unangetastet ließ.

Hier wurde zunächst von den Leitmedien-Vertretern immer wieder betont, man hätte keine Agenda (ein Vorwurf, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht erhoben worden war), um im späteren Verlauf aber durchaus einzugestehen, dass das Ausklammern der großen Medienhäuser tatsächlich ein relevanter Kritikpunkt bei der Natur der derzeitigen Faktenchecks sei. Dabei kam in der weiteren Diskussion heraus, dass es bei der Faktencheck-Produktion eine relevante Rolle spielt, ob die entsprechende Faktenprüfung auch gut geklickt wird, und erfahrungsgemäß die Deklarierung als „falsch“ klicktechnisch vielversprechender sei als abwägende Bewertungen wie „teilweise…“, „fehlender Kontext“ oder gar „richtig“. Dies, das wurde durchaus selbstkritisch eingeräumt, könne zu einem gewissen „bias“ bei der Vorauswahl der zu faktcheckenden Themen führen. Ein Teilnehmer mit Sitz in London brachte den Aspekt in die Diskussion ein, dass ausgerechnet bei Faktenchecks oft die jüngsten, unerfahrensten und am schlechtesten bezahlten Journalisten der Redaktionen zum Einsatz kommen. Diese Beobachtung wurde länderübergreifend bestätigt. Vor diesem Hintergrund sei noch erwähnt, dass die Fauxpas des ARD-Faktenfinders Pascal Siggelkow (man denke etwa an seine legendäre Falschübersetzung „Sprengstoff in Pflanzenform“) auch schon bei den anglo-amerikanischen Kollegen die Runde gemacht hatten und für entsprechende Lacher und Kopfschütteln sorgten.

Es wird hitzig …

Bis zu diesem Punkt war die Diskussion leidenschaftlich, aber durchaus produktiv verlaufen.

Dies sollte sich ändern, sobald der Begriff „Zensur“ in die Debatte eingebracht wurde und die Teilnehmer über die Rolle von Plattformen bei der Kontrolle von Berichterstattung debattierten. Uneinigkeit herrschte insbesondere über die Bewertung der Twitter-Files, einer Reihe interner Mitteilungen, die Ende 2022 nach der Übernahme durch Elon Musk veröffentlicht worden waren. Einige Teilnehmer argumentierten, dass die Dateien Beweise für eine systemische Zensur lieferten, die von staatlichen und unternehmerischen Interessen beeinflusst sei. Ein Teilnehmer bezeichnete dies als „Zensur-Industrie-Komplex“. Andere taten die Twitter-Dateien wiederum als „nichts“ („nothing burger“) ab und deuteten an, dass die Enthüllungen übertrieben seien und es an stichhaltigen Beweisen für ein wirkliches Fehlverhalten oder gar Zensur fehle. Die Debatte offenbarte eine tiefe Kluft in der Frage, wie solche Enthüllungen zu interpretieren seien und inwieweit private Unternehmen für die Moderation und Unterdrückung von Inhalten zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Die Diskussion wurde interessanterweise besonders hitzig und kontrovers geführt, als es um die Frage ging, ob Journalisten Informationen von Regierungen oder suprastaatlichen Institutionen wie etwa der WHO unhinterfragt übernehmen sollten oder ob auch diese im Interesse der Transparenz hinterfragt werden sollten. Die aufschlussreiche Antwort eines Leitmedien-Vertreters: Er hätte für einen Faktencheck zwei oder drei Stunden Zeit, es sei völlig illusorisch und nicht zielführend, in so einem Rahmen auch noch anzufangen, Berichte oder Statistiken der WHO oder des Gesundheitsministeriums zu hinterfragen, dies seien schließlich „good faith institutions“ (dies kann man am ehesten noch mit „vertrauenswürdige Institutionen“ übersetzen). Danach verließ besagte Person mit hochrotem Kopf die Diskussion.

Es kam auch zu einem Disput darüber, wie mit den Äußerungen von Donald Trump umgegangen werden sollte. Ein Teilnehmer fragte, wie die Medien über eine Person berichten sollten, deren Aussagen häufig die traditionellen Standards der Berichterstattung infrage stellen. Während einige dafür plädierten, Trumps Behauptungen rigoros auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, warnten andere davor, dass die Konzentration auf jedes seiner Worte das Risiko berge, Fehlinformationen zu verstärken.

Ein freier Journalist verwies im weiteren Verlauf auf das kanadische Notstandsgesetz, das während der Trucker-Proteste in Ottawa im Jahr 2022 zur Sperrung von Bankkonten führte, als Beispiel für die Macht des Staates, Narrative zu beeinflussen oder zu unterdrücken, wobei Medien und Social-Media-Plattformen laut diesem eine unrühmliche und staatstragende Rolle bei der Einhegung der damaligen Truckerproteste gepielt hätten.

Auf der anderen Seite argumentierte ein in New York ansässiger Tech-Redakteur, dass solche Kritiken Gefahr liefen, den Grad an Koordinierung in Redaktionen überzubewerten, und wies darauf hin, dass Mainstream-Medien, selbst bei sich überschneidenden Ansichten, aus einer Vielzahl von Motiven heraus agieren und daher nie eine „gemeinsame Agenda“ vertreten könnten. Dem widersprachen andere Teilnehmer mit Verweis auf die sehr einseitige Berichterstattung im Themenkontext der Corona-Krise. Ein weiterer Leitmedien-Vertreter wies den Vorwurf der medialen Einseitigkeit zu Themen um Covid-19 zunächst vehement zurück, nur um dann kurz danach einzuräumen, dass seine Kinder ihn regelmäßig befragt und kritisiert hätten, wieso sein Sender so einseitig berichte und nur gewisse Experten zu Wort kommen ließe. Er habe diesen Vorwurf gegenüber seinen Kindern immer vehement bestritten, müsse aber in der Rückschau „vielleicht“ doch einräumen, dass es vereinzelt zu solchen Tendenzen gekommen sei.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich dieser Ansatz, rund je ein Dutzend Journalisten von alternativen und Mainstream-Medien, und in beiden Fällen auch in einer breiten politischen Streuung (von klassisch links, über linksliberal bis rechtskonservativ) in einem offenen Diskussionsformat zusammenzubringen, ausgezahlt und auf beiden Seiten Vorbehalte und Blasenbildung aufgebrochen hat.

Wie wichtig und für die Erneuerung der Medien unabdingbar dieser Versuch des Aufbrechens der Blasen ist, wurde einem gleich im Anschluss an die Diskussion vor Augen geführt. Denn unmittelbar im Anschluss an die geschilderte Diskussion gab es eine öffentliche Veranstaltung auf dem Web Summit, in welcher der NPR-Redakteur Bobby Allyn die zwei New-York-Times-Reporter Kate Conger und Ryan Mac zum Thema „Hat Elon Musk Twitter zerstört?“ befragte. Das war für die Zuhörer ungefähr so erkenntnisreich, als wenn DLF-Moderator Christian Schmitt die Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo und Margarete Stokowski zu deren Haltung zu Donald Trump befragt hätte.

Titelbild: Web Summit

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Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Einleitende Anmerkung zum Verständnis über die Art der folgenden Berichterstattung: Die zwei aufeinanderfolgenden Paneldiskussionen zwischen Vertretern von Leit- und Alternativmedien im Rahmen des Web Summit in Lissabon, über die im weiteren Verlauf dieses Artikels berichtet wird, fanden unter der sogenannten „Chatham House Rule“ (Chatham-Haus-Regel) statt, die die Weitergabe von Inhalten vertraulicher Gespräche an Dritte regelt. Diese Regel lautet: „Bei Veranstaltungen, die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen.“ Es kann also nur in der Art, wie etwa auch über Bilderberg-Treffen geschrieben wird, bei dem übrigens auch die Chatham-Haus-Regel gilt, darüber berichtet werden.

Am Rande des Web Summits …

Im Rahmen des Web Summit in Lissabon, bei dem in diesem Jahr auch die Whistleblowerin Chelsea Manning zu Gast war, trafen bekannte Journalisten aus dem Feld der Mainstream-Presse und Vertreter von Alternativmedien in der portugiesischen Hauptstadt zusammen. In zwei aufeinanderfolgenden Diskussionsrunden wurden die derzeit wohl heikelsten Themen der modernen Medienwelt diskutiert. Die vorgegebenen Titel der beiden nichtöffentlichen Zusammenkünfte lauteten:

  1. „Misinformation“ a moral panic or a real crisis? („Fehlinformationen“ – moralische Panik oder echte Krise?)
  2. Fact-checking and trust in media (Faktencheck und Vertrauen in die Medien)

Etwas Kontext …

Das Treffen fand vor dem Hintergrund der Kontroversen um den Mitbegründer des Web Summit, den irischen CEO Paddy Cosgrave, statt, der erst kürzlich in seine Funktion als Vorstandsvorsitzender des WS zurückgekehrt war, nachdem er 2023 nach kritischen Äußerungen über Israels Vorgehen in Gaza zurücktreten musste. Zuvor hatten sich aus Protest gegen dessen Äußerungen große Technologiekonzerne wie Intel, Siemens, Google, Amazon und Meta vom WS 2023 zurückgezogen, ebenso hatte Robert Habeck damals seinen geplanten Besuch der Konferenz abgesagt. Cosgraves Rückkehr auf die Bühne und Leitung der Tech-Konferenz wurde von den genannten Tech-Vertretern in diesem Jahr sehr genau unter die Lupe genommen.

Der Auslöser für seinen kurzfristig erzwungenen Rücktritt 2023 war übrigens dieser Tweet:

„Ich bin schockiert über die Rhetorik und die Handlungen so vieler westlicher Staats- und Regierungschefs, mit Ausnahme insbesondere der irischen Regierung, die ausnahmsweise einmal das Richtige tut. Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, auch wenn sie von Verbündeten begangen werden, und sie sollten als das bezeichnet werden, was sie sind.“

I’m shocked at the rhetoric and actions of so many Western leaders & governments, with the exception in particular of Ireland’s government, who for once are doing the right thing. War crimes are war crimes even when committed by allies, and should be called out for what they are.

— Paddy Cosgrave (@paddycosgrave) October 13, 2023

Es war diese am eigenen Leib erlebte Cancel-Erfahrung, die den irischen CEO dazu motivierte, Medienvertreter aus unterschiedlichen Lagern im Rahmen des Web Summit zusammenzubringen. Ein in diesen Zeiten wohl relativ einmaliges Format, welches allerdings auf beiden Seiten durch Journalisten aus den USA und England dominiert wurde, ergänzt um drei deutsche Journalisten. Vertreter aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder auch Süd- und Osteuropa fehlten völlig.

Let’s start …

Ein hochrangiger Vertreter einer deutschen Rundfunkanstalt erklärte gleich bei seinem Eingangsstatement nach der allgemeinen Vorstellungsrunde, dass man hier ja unter Westlern sei und die eigentlichen Probleme der Pressefreiheit eher in autoritären Staaten wie Russland und China zu suchen seien. Als konkretes Beispiel verwies die Person dann darauf, dass ja etwa der deutsche Auslandssender Deutsche Welle (DW) im Februar 2022 vom Kreml mit einem Sendeverbot belegt worden sei. Darauf folgte die Nachfrage, ob es nicht etwas widersprüchlich sei, die Schließung der DW zu beklagen, aber gleichzeitig nicht zu erwähnen, dass diesem Schritt das Verbot von RT in Deutschland vorausgegangen war und ob dieses Verbot wiederum gutgeheißen würde. Die Erwiderung lautete, man habe die Schließung von RT in Deutschland nicht befürwortet und sich eine andere Lösung erhofft. Diese Haltung hätte man auch so kommuniziert.

Daran schloss sich unmittelbar ein weiterer Diskussionspunkt an, eingeleitet durch die Frage, wieso die sogenannten Faktenchecks die Tendenz hätten, „immer nur nach unten zu treten“. Gemeint war damit, dass Faktenchecks sich beinahe ausnahmslos nur gegen viral gegangene X-Tweets von privaten Nutzern oder Veröffentlichungen kleinerer Online-Portale richten, aber so gut wie kein Fall bekannt ist, in dem sich private Faktenchecker oder staatlich finanzierte (im deutschen Fall z.B. Correctiv und DW) mit Veröffentlichungen großer Medienhäuser oder Nachrichtenagenturen auseinandersetzen würden. Als konkretes Beispiel wurde angesprochen, dass etwa ein aktueller Faktencheck der DW („Faktencheck: Verstößt NATO-Präsenz gegen 2+4-Vertrag?“) die Darstellung eines viralen Tweets, dass es sich bei dem neuen maritim-taktischen Hauptquartier in Rostock um ein NATO-Hauptquartier handeln würde, als „falsch“ bezeichnet, aber die identische Betitelung bei Tagesschau, SPIEGEL, dem eigenen polnischen DW-Ableger und fast allen anderen Leitmedien völlig unangetastet ließ.

Hier wurde zunächst von den Leitmedien-Vertretern immer wieder betont, man hätte keine Agenda (ein Vorwurf, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht erhoben worden war), um im späteren Verlauf aber durchaus einzugestehen, dass das Ausklammern der großen Medienhäuser tatsächlich ein relevanter Kritikpunkt bei der Natur der derzeitigen Faktenchecks sei. Dabei kam in der weiteren Diskussion heraus, dass es bei der Faktencheck-Produktion eine relevante Rolle spielt, ob die entsprechende Faktenprüfung auch gut geklickt wird, und erfahrungsgemäß die Deklarierung als „falsch“ klicktechnisch vielversprechender sei als abwägende Bewertungen wie „teilweise…“, „fehlender Kontext“ oder gar „richtig“. Dies, das wurde durchaus selbstkritisch eingeräumt, könne zu einem gewissen „bias“ bei der Vorauswahl der zu faktcheckenden Themen führen. Ein Teilnehmer mit Sitz in London brachte den Aspekt in die Diskussion ein, dass ausgerechnet bei Faktenchecks oft die jüngsten, unerfahrensten und am schlechtesten bezahlten Journalisten der Redaktionen zum Einsatz kommen. Diese Beobachtung wurde länderübergreifend bestätigt. Vor diesem Hintergrund sei noch erwähnt, dass die Fauxpas des ARD-Faktenfinders Pascal Siggelkow (man denke etwa an seine legendäre Falschübersetzung „Sprengstoff in Pflanzenform“) auch schon bei den anglo-amerikanischen Kollegen die Runde gemacht hatten und für entsprechende Lacher und Kopfschütteln sorgten.

Es wird hitzig …

Bis zu diesem Punkt war die Diskussion leidenschaftlich, aber durchaus produktiv verlaufen.

Dies sollte sich ändern, sobald der Begriff „Zensur“ in die Debatte eingebracht wurde und die Teilnehmer über die Rolle von Plattformen bei der Kontrolle von Berichterstattung debattierten. Uneinigkeit herrschte insbesondere über die Bewertung der Twitter-Files, einer Reihe interner Mitteilungen, die Ende 2022 nach der Übernahme durch Elon Musk veröffentlicht worden waren. Einige Teilnehmer argumentierten, dass die Dateien Beweise für eine systemische Zensur lieferten, die von staatlichen und unternehmerischen Interessen beeinflusst sei. Ein Teilnehmer bezeichnete dies als „Zensur-Industrie-Komplex“. Andere taten die Twitter-Dateien wiederum als „nichts“ („nothing burger“) ab und deuteten an, dass die Enthüllungen übertrieben seien und es an stichhaltigen Beweisen für ein wirkliches Fehlverhalten oder gar Zensur fehle. Die Debatte offenbarte eine tiefe Kluft in der Frage, wie solche Enthüllungen zu interpretieren seien und inwieweit private Unternehmen für die Moderation und Unterdrückung von Inhalten zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Die Diskussion wurde interessanterweise besonders hitzig und kontrovers geführt, als es um die Frage ging, ob Journalisten Informationen von Regierungen oder suprastaatlichen Institutionen wie etwa der WHO unhinterfragt übernehmen sollten oder ob auch diese im Interesse der Transparenz hinterfragt werden sollten. Die aufschlussreiche Antwort eines Leitmedien-Vertreters: Er hätte für einen Faktencheck zwei oder drei Stunden Zeit, es sei völlig illusorisch und nicht zielführend, in so einem Rahmen auch noch anzufangen, Berichte oder Statistiken der WHO oder des Gesundheitsministeriums zu hinterfragen, dies seien schließlich „good faith institutions“ (dies kann man am ehesten noch mit „vertrauenswürdige Institutionen“ übersetzen). Danach verließ besagte Person mit hochrotem Kopf die Diskussion.

Es kam auch zu einem Disput darüber, wie mit den Äußerungen von Donald Trump umgegangen werden sollte. Ein Teilnehmer fragte, wie die Medien über eine Person berichten sollten, deren Aussagen häufig die traditionellen Standards der Berichterstattung infrage stellen. Während einige dafür plädierten, Trumps Behauptungen rigoros auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, warnten andere davor, dass die Konzentration auf jedes seiner Worte das Risiko berge, Fehlinformationen zu verstärken.

Ein freier Journalist verwies im weiteren Verlauf auf das kanadische Notstandsgesetz, das während der Trucker-Proteste in Ottawa im Jahr 2022 zur Sperrung von Bankkonten führte, als Beispiel für die Macht des Staates, Narrative zu beeinflussen oder zu unterdrücken, wobei Medien und Social-Media-Plattformen laut diesem eine unrühmliche und staatstragende Rolle bei der Einhegung der damaligen Truckerproteste gepielt hätten.

Auf der anderen Seite argumentierte ein in New York ansässiger Tech-Redakteur, dass solche Kritiken Gefahr liefen, den Grad an Koordinierung in Redaktionen überzubewerten, und wies darauf hin, dass Mainstream-Medien, selbst bei sich überschneidenden Ansichten, aus einer Vielzahl von Motiven heraus agieren und daher nie eine „gemeinsame Agenda“ vertreten könnten. Dem widersprachen andere Teilnehmer mit Verweis auf die sehr einseitige Berichterstattung im Themenkontext der Corona-Krise. Ein weiterer Leitmedien-Vertreter wies den Vorwurf der medialen Einseitigkeit zu Themen um Covid-19 zunächst vehement zurück, nur um dann kurz danach einzuräumen, dass seine Kinder ihn regelmäßig befragt und kritisiert hätten, wieso sein Sender so einseitig berichte und nur gewisse Experten zu Wort kommen ließe. Er habe diesen Vorwurf gegenüber seinen Kindern immer vehement bestritten, müsse aber in der Rückschau „vielleicht“ doch einräumen, dass es vereinzelt zu solchen Tendenzen gekommen sei.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich dieser Ansatz, rund je ein Dutzend Journalisten von alternativen und Mainstream-Medien, und in beiden Fällen auch in einer breiten politischen Streuung (von klassisch links, über linksliberal bis rechtskonservativ) in einem offenen Diskussionsformat zusammenzubringen, ausgezahlt und auf beiden Seiten Vorbehalte und Blasenbildung aufgebrochen hat.

Wie wichtig und für die Erneuerung der Medien unabdingbar dieser Versuch des Aufbrechens der Blasen ist, wurde einem gleich im Anschluss an die Diskussion vor Augen geführt. Denn unmittelbar im Anschluss an die geschilderte Diskussion gab es eine öffentliche Veranstaltung auf dem Web Summit, in welcher der NPR-Redakteur Bobby Allyn die zwei New-York-Times-Reporter Kate Conger und Ryan Mac zum Thema „Hat Elon Musk Twitter zerstört?“ befragte. Das war für die Zuhörer ungefähr so erkenntnisreich, als wenn DLF-Moderator Christian Schmitt die Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo und Margarete Stokowski zu deren Haltung zu Donald Trump befragt hätte.

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