Player FM - Internet Radio Done Right
128 subscribers
Checked 9h ago
Lagt till six år sedan
Innehåll tillhandahållet av Bayerischer Rundfunk. Allt poddinnehåll inklusive avsnitt, grafik och podcastbeskrivningar laddas upp och tillhandahålls direkt av Bayerischer Rundfunk eller deras podcastplattformspartner. Om du tror att någon använder ditt upphovsrättsskyddade verk utan din tillåtelse kan du följa processen som beskrivs här https://sv.player.fm/legal.
Player FM - Podcast-app
Gå offline med appen Player FM !
Gå offline med appen Player FM !
radioWissen
Markera alla som (o)spelade ...
Manage series 2459771
Innehåll tillhandahållet av Bayerischer Rundfunk. Allt poddinnehåll inklusive avsnitt, grafik och podcastbeskrivningar laddas upp och tillhandahålls direkt av Bayerischer Rundfunk eller deras podcastplattformspartner. Om du tror att någon använder ditt upphovsrättsskyddade verk utan din tillåtelse kan du följa processen som beskrivs här https://sv.player.fm/legal.
Die ganze Welt des Wissens, gut recherchiert, spannend erzählt. Interessantes aus Geschichte und Archäologie, Literatur, Architektur, Film und Musik, Beiträge aus Philosophie und Psychologie. Wissenswertes über Natur, Biologie und Umwelt, Hintergründe zu Wirtschaft und Politik. Und immer ein sinnliches Hörerlebnis.
…
continue reading
2592 episoder
Markera alla som (o)spelade ...
Manage series 2459771
Innehåll tillhandahållet av Bayerischer Rundfunk. Allt poddinnehåll inklusive avsnitt, grafik och podcastbeskrivningar laddas upp och tillhandahålls direkt av Bayerischer Rundfunk eller deras podcastplattformspartner. Om du tror att någon använder ditt upphovsrättsskyddade verk utan din tillåtelse kan du följa processen som beskrivs här https://sv.player.fm/legal.
Die ganze Welt des Wissens, gut recherchiert, spannend erzählt. Interessantes aus Geschichte und Archäologie, Literatur, Architektur, Film und Musik, Beiträge aus Philosophie und Psychologie. Wissenswertes über Natur, Biologie und Umwelt, Hintergründe zu Wirtschaft und Politik. Und immer ein sinnliches Hörerlebnis.
…
continue reading
2592 episoder
All episodes
×r
radioWissen


1 Déja-vu- Ein Phänomen mit mystischer Aura 23:35
23:35
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:35
Das hab ich genauso schon einmal erlebt! Obwohl man dieses Gefühl hat, weiß man: das kann eigentlich nicht sein. Das Déjà vu: Ein Stück weit bleibt es Rätsel, aber es gibt mehrere Versuche, das Phänomen zu erklären. Von der Kunst über die Philosophie bis hin zu Psychologie und Neurologie. Und einige Ansätze scheinen plausibel. Von Susanne Brandl Credits Autorin dieser Folge: Susanne Brandl Regie: Rainer Schaller Es sprachen: Laura Maire, Thomas Loibl, Carsten Fabian Technik: Susanne Harasim Redaktion: Bernhard Kastner Im Interview: Florian Schöberl, Neurologe Hans Markowitsch, Psychologe Arthur Funkhouser, Psychoanalytiker (Overvoice) Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört. ZUM PODCAST Linktipps: deja-experience-research.org Günther Oesterle (Hrsh.): Déjà-vu Hans Joachim Markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur. Vom Erinnern und Vergessen C.G. Jung: Synchronizität. Der Sinn des Zufalls Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER .…
r
radioWissen


1 Die Feministin bell hooks - Liebe ist Heilung 22:05
22:05
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad22:05
Die 2021 verstorbene US-Amerikanerin bell hooks war Visionärin und Wegbereiterin eines Schwarzen Feminismus. In ihren oft sehr persönlichen Texten beschreibt sie, wie Schwarze Frauen in der patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft ausgebeutet werden - und wie sich das ändern ließe. Von Maike Brzoska (BR 2023) Credits Autorin dieser Folge: Maike Brzoska Regie: Anja Scheifinger Es sprachen: Katja Bürkle, Stefan Wilkening, Karin Schumacher, Hemma Michel Technik: Regina Staerke Redaktion: Nicole Ruchlak, Yvonne Maier Das Manuskript zur Folge gibt es HIER . Interviewpartner/innen: Birgit Bockschweiger, Referentin für Antidiskriminierung und Diversity an der Universität Regensburg; Shadee Malaklou, Direktorin des bell hooks Centers am Berea College Diese hörenswerte Folge von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Misogynie - Die Abwertung des Weiblichen JETZT ANHÖREN Linktipp: Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischer Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte Literaturtipps: hooks, bell: Bone Black. Memories of a Girlhood. Holt Paperbacks. Henry Holt and Company. 1996. hooks, bell: Feminismus für alle. Unrast Verlag. 2021. hooks, bell: Die Bedeutung von Klasse. Unrast Verlag. 2021. hooks, bell: Alles über Liebe. Neue Sichtweisen. Harper Collins. 2022. hooks, bell: Lieben lernen. Alles über Verbundenheit. Harper Collins. 2022. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN…
r
radioWissen


1 Laurel und Hardy – Mehr als „dick“ und „doof“ 23:19
23:19
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:19
Stan Laurel und Oliver Hardy haben als ikonisches Duo der Stumm- und Tonfilmzeit das Genre der Filmkomik revolutioniert, mit Slapstick und universell verständlichem Humor. In Deutschland wurden sie als "Dick und Doof" bekannt, als populäre Massenware belächelt und in ihrer Bedeutung vielfach verkannt. Von Florian Kummert Credits Autor dieser Folge: Florian Kummert Regie: Es sprach: Susanne Schroeder Technik: Redaktion: Karin Becker Im Interview: Sven Hanuschek, Literaturwissenschaftler und Autor „Laurel und Hardy – eine Revision“ Wolfgang Günther, Laurel & Hardy Museum, Solingen Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren: Josephine Baker - Bananenrock und Regenbogenfamilie JETZT ENTDECKEN Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Bayerischer Rundfunks. DAS KALENDERBLATT Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischer Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte Literatur: Sven Hanuschek: Laurel und Hardy – eine Revision (Zsolnay/Kino, 2010) Gianluca Buttolo: Laurel und Hardy (Splitter, 2024) Norbert Aping: Das kleine Dick und Doof-Buch (Schüren, Neuauflage 2022) Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ERZÄHLERIN Ein paar Takte dieser Musik genügen und sie transportiert uns in eine andere Welt. Die Welt eines Komiker-Duos, so gegensätzlich und doch untrennbar vereint.Der eine schlaksig und mit Strubbelhaaren, der andere korpulent und mit gestutztem Schnurrbart. Der eine trägt Fliege, der andere Krawatte, beide schwören auf ihre Hüte, Modell Melone. Stan und Ollie, mit vollem Namen: Stan Laurel und Oliver Hardy.In Deutschland auch bekannt als „Dick und Doof“. Der Kuckuckstanz ist das musikalische Markenzeichen für die Stan und Ollie-Filme, die seit Generationen die Fans verzücken. So wie den Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek, Jahrgang 1964. OTON Sven Hanuschek 1 Meine Leidenschaft begann natürlich in der Kindheit. Es gab so eine evangelische Wochenendfreizeit, die immer Samstagnachmittag Kinofilme gezeigt haben, und da gab es Buster Keaton und Laurel und Hardy. Ich denke, dass einer der Laurel und Hardy Filme der erste Kinofilm ist, den ich überhaupt gesehen habe auf der großen Leinwand. ERZÄHLERIN Slapstick-Abenteuer mit Titeln wie „Die Wüstensöhne“, „Die Klotzköpfe“ oder „Alles in Schlagsahne!“. In vielen lösen sie eine Verehrung aus, die in der Kindheit beginnt und das ganze Leben hält. Im Fall von Sven Hanuschek geht sie so tief, dass er über das Komiker-Duo ein Buch geschrieben hat: „Laurel und Hardy - eine Revision“. Denn in Deutschland sind die beiden nun mal vor allem als „Dick und Doof“ bekannt. So wurden und werden sie oft reduziert auf Brachial-Komiker, die Torten werfen und auf Bananenschalen ausrutschen. Für Hanuschek ist die Geschichte von Dick und Doof in Deutschland eine - wie er sagt - „Schändungsgeschichte“. OTON Sven Hanuschek 2 Es sind ja zum Teil Langfilme, große Spielfilme und im deutschen Fernsehen wurden die eigentlich immer nur gekürzt gezeigt, irgendwelche lieblos zusammengestellten Schnipsel, manchmal auch etwas liebevoller zusammengestellt, also man sieht nicht den eigentlichen Film. Es gibt sogar Kombinationen von verschiedenen Filmen, die dann zusammengeschnitten wurden, irgendwie, wo die meinten, das passt doch gerade. MUSIK Väter der Klamotte „Guten Abend, liebe Gäste, wir erfreuen euch aufs Beste, mit Klamotten, Komödianten,… (dann abblenden) ERZÄHLERIN Sendungen wie „Väter der Klamotte“, „Es darf gelacht werden“ oder eben - ab 1970 freitags im ZDF-Vorabendprogramm - der Straßenfeger „Dick und Doof“. (( OTON Sven Hanuschek 3 Das sind immer so 20-Minüter gewesen, wo halt irgendwas zusammengebastelt, manchmal moderiert und mit merkwürdigen Tonspuren versehen wurde, die manchmal mehr, manchmal weniger gelungen, also öfter weniger gelungen waren, fand ich, auch sehr kalauerhaft und zum Teil einfach unterirdisch. Und das, was eigentlich die Filme ja ausgemacht hat, welche Ideen da drin stecken, die ja auch eigene Rhythmen haben, eine eigene Dramaturgie, das ist dadurch natürlich völlig zerstört worden und das meine ich mit Schändungsgeschichte. )) ERZÄHLERIN Das herablassende deutsche „Dick und Doof“ führte zu einer Geringschätzung in akademischen Kreisen und auch in cineastischen Nachschlagewerken. Andere Komiker der frühen Filmgeschichte, allen voran Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton, werden als Meister ihres Fachs gewürdigt, die mit Poesie und akrobatischer Präzision große Kunst erschaffen haben, humorvolle Allegorien über den Umgang mit Armut, den Tücken der Moderne und den politischen Umbrüchen der Zeit. OTON Sven Hanuschek 4 Das sind die Komiker, mit denen man sich beschäftigt, über die man schreiben kann, die auch als Meilensteine in der Kinogeschichte gelten und Laurel und Hardy sind eben Dick und Doof. Also die sind offenbar nicht satisfaktionsfähig, mit denen beschäftigt man sich nicht oder man benutzt sie sogar als Abgrenzung, um zu sagen, das ist jetzt eher so das Kleingeld der Komik oder das einfache, das primitive oder für die Kinder vielleicht auch nur. ERZÄHLERIN Eine Fehleinschätzung, die aber zunehmend korrigiert wird. Das liegt auch an der Materiallage. Die restaurierten Originalfassungen der Filme werden seit der Jahrtausendwende veröffentlicht, mit der englischsprachigen Tonspur und den diversen deutschen Synchronfassungen. Sie ermöglichen endlich einen unvoreingenommenen Blick auf die Leistung von Laurel und Hardy. Auf einzigartige Weise haben sie die Tücken des Alltags verarbeitet und uns als Publikum den Spiegel vorgehalten. TRENNER, Sound gemütlich ERZÄHLERIN Dabei legen Laurel und Hardy-Filme eine bewusst andere Geschwindigkeit ein als die Konkurrenz. Während viele Slapstick-Werke der 1920er Jahre auf Rasanz setzen, nutzen Stan und Ollie die Komik der Langsamkeit. Slowburn nennt sich die Technik, das langsame, genüssliche Abfackeln des Feuerwerks, das in der gedehnten Handlung erst die volle Wirkung entfaltet und dem Publikum im Kinosaal Zeit zum Lachen gibt, ehe der nächste Gag inszeniert wird. Wenn Ollie etwa beim Servieren einer Torte stolpert und hinfällt, natürlich mit dem Gesicht in der Creme-Pampe, bleibt er erstmal liegen. Schicksalsergeben hebt er langsam den Kopf, so dass die Sahnecreme genüsslich Ollies Backe hinabläuft. Und als Finale ein weiteres Markenzeichen: der Blick direkt in die Kamera. Ein Blick, der das Publikum zu Komplizen macht. OTON Sven Hanuschek 5 Da wird man ja einbezogen als Zuschauer. Die vierte Wand wird aufgemacht und dadurch hat man natürlich auch eine andere Art von Empathie, auch wenn das dann irgendwann zum Selbstzitat wird, wie bestimmte Motive sich ja doch wiederholen, bestimmte Gesten. ERZÄHLERIN Ollie, der - wenn er nervös wird - seine Krawatte zwischen den Fingern knotet. Stan, der - wenn er mal wieder auf der langen Leitung steht - die Stirn in Falten legt und sich am Kopf kratzt. Beide behalten aber immer ihre Würde, egal in welche Fettnäpfchen sie treten. Und sie bleiben gutherzige Typen und Freunde, auch wenn sie sich manche Gemeinheiten antun. Das Rezept: man nehme eine kleine Alltagsreiberei, und lasse sie dann Schritt für Schritt eskalieren. Laurel und Hardy, die Meister des „tit for tat“, zu Deutsch: „Wie du mir, so ich dir“. OTON Sven Hanuschek 6 Das ist eigentlich eine Eskalationsstrategie in der Auseinandersetzung. Man tut dem anderen etwas an und der hat dann alle Zeit, sich zu überlegen, wie reagiere ich drauf und ich muss was dagegen setzen. Und das ist immer eins drauf und der andere sitzt dann da gespannt und wartet, was kommt jetzt, was ist die nächste Stufe und hindert den eben gar nicht. Der kann das dann ausführen und dann geht es wieder auf die andere Seite. Es geht hin und her, und auf die Weise kann das in ungeahnte Höhen getrieben werden. ERZÄHLERIN Eine Bananenschale kann zur Keimzelle einer riesigen Tortenschlacht werden, wie in „Der Kampf des Jahrhunderts“. Darin kauft sich Stan eine Unfallversicherung. Um schnell an das Geld zu kommen, legt Ollie für ihn Bananenschalen aus. Doch nicht Stan rutscht aus, sondern ein Kuchenhändler. Der rächt sich an Ollie, indem er ihm eine Torte ins Gesicht drückt. Daraus entwickelt sich eine irrwitzige Tortenschlacht, die ein ganzes Stadtviertel ins Chaos stürzt. 3000 Torten waren bei dem Finale im Einsatz. Bis heute steht die Szene im Guinness Buch der Rekorde für die „meisten verwendeten Torten in der Filmgeschichte.“ SOUND Torten werfen o.ä. ERZÄHLERIN Manchmal steht im Drehbuch nur ein einziges Wort, der Rest wird improvisiert. Das Wörtchen „Klavier“ wird die Grundlage zu einem ihrer erfolgreichsten Kurzfilme: „The Music Box - Das verrückte Klavier“, eine moderne Variation des Sisyphos-Mythos. Stan und Ollie versuchen ein Klavier anzuliefern, und müssen den schweren Kasten eine steile, lange Treppe hochtragen. Immer wieder entgleitet ihnen ihr Transportgut und rumpelt nach unten, zurück zum Ausgangspunkt. 1932 gewinnt „The Music Box“ den Oscar für den besten komödiantischen Kurzfilm. MUSIK frei Introduction “What’s your name?” “Stanley Laurel” ERZÄHLERIN Stan Laurel ist Brite und stammt aus einer Künstlerfamilie. 1890 kommt er im nordenglischen Ulverston zur Welt, als Arthur Stanley Jefferson. Von klein auf will er im Showbusiness auftreten, so wie sein Vater, ein Schauspieler und Theatermanager. Mit 16 Jahren gibt er sein Debut, erarbeitet sich ein Repertoire als Pantomime und tritt in Varieté-Theatern auf, den Music Halls. Dabei fällt er dem Produzenten Fred Karno auf, der komische Nachwuchstalente versammelt und mit ihnen auf Tour geht, darunter auch in die Vereinigten Staaten. Mit dabei: ein gewisser Charlie Chaplin, der bald zum Star der Truppe aufsteigt und mit dem sich Stanley zeitweise ein Zimmer teilt. Doch als Chaplin die Truppe verlässt, um sich seiner Filmkarriere zu widmen, ist dies das Ende der Tour. Stanley Jefferson beschließt in den USA zu bleiben. Er arbeitet weiter im Theater und ergattert 1917 seine erste Filmrolle. MUSIK humorvoll, z.B. The Trail of the Lonesome Pine Intro ERZÄHLERIN Stanleys damalige Lebensgefährtin und Bühnenpartnerin Mae Dahlberg verhilft ihm zu seinem Künstlernamen. Als sie in einer Zeitung blättert, sieht sie das Bild eines römischen Generals mit einem Lorbeerkranz - auf Englisch „laurel“. Mehrmals sagt sie laut „Stan Laurel“ vor sich hin. Stan gefällt der Klang und bleibt dabei. Als Stan Laurel dreht und dreht und dreht er, aber für den großen Durchbruch in Hollywood reicht es nicht. Eine kreative Heimat findet er in den Studios des Produzenten Hal Roach. Dort entscheidet er sich, seine Karriere vor allem hinter der Kamera weiter zu verfolgen, arbeitet zunehmend als Drehbuchautor und Regisseur. Bis er bei dem Projekt „Get’em Young“ wieder als Darsteller einspringen muss. Ein Schauspieler hatte sich beim Zubereiten einer Lammkeule den Arm verbrannt. Sein Name: Oliver Hardy. MUSIK frei Introduction “What’s your name?” “Oliver Norvell Hardy” ERZÄHLERIN Oliver Norvell Hardy, Spitzname Babe, geboren 1892 in Harlem, aber nicht im berühmten New Yorker Stadtteil, sondern in Harlem im US-Bundesstaat Georgia. Hardys wichtige Lehrjahre sind nicht wie bei Stan Laurel auf Theaterbühnen, sondern in der Lobby eines Hotels. Hardys Mutter ist Hotelmanagerin und ihr Sohnemann liebt es im Eingangsbereich zu sitzen und die Mimik der Gäste zu studieren und nachzumachen. 1910 wird er Vorführer im örtlichen Kino, sieht so gut wie alles, was damals auf den Markt kommt, und ist der Meinung: was die auf der Leinwand darbieten, das kann ich auch, oder sogar noch besser. So verschlägt es ihn schließlich nach Hollywood. Oliver „Babe“ Hardy: ein Meter 85 groß, um die 140 Kilogramm schwer. Dank seiner Physis, aber auch seines Talents bekommt er bald erste Rollen. Aber nicht als komischer Ollie, sondern als Fiesling. Hardy ist zunächst abonniert auf Schurken-Rollen. Schließlich landet auch er bei den Hal Roach Studios und steht ab 1927 gemeinsam mit Stan Laurel vor der Kamera. MUSIK Ku-Ku ERZÄHLERIN Schnell ist den Kreativköpfen im Studio klar: Laurel und Hardy sind eine Traumbesetzung. Die beiden so gegensätzlichen Typen harmonieren, und zwar nicht nur gut, sondern perfekt. Sie heben sich gegenseitig empor, sind gleichberechtigt und ausdrucksstark, zugängliche und wiedererkennbare Archetypen: zwei unschuldige Kinder im Körper von Erwachsenen, die die Leute zum Lachen bringen und die Leinwand zum Leuchten. MUSIK/SOUND Laugh OTON Wolfgang Günther 1 Das Faszinierende an Stan und Ollie ist natürlich die Art der Komik. Sie haben also keine Zoten, nicht irgendwelche Dinge, wo sich vielleicht andere drüber aufregen. Die Komik ist ja menschlich, alltäglich, und irgendwie sind wir ja alle „Dick und Doof“. Jedem passiert ja schon mal ein Missgeschick im Alltag, oder mal ein Zoff mit dem Partner oder mit dem Freund. Also jeder kann sich in den beiden wiederfinden und vielleicht ein bisschen in den Filmen über sich selber lachen, nicht? ERZÄHLERIN Findet Wolfgang Günther, der über die Filme noch lachen kann, obwohl er sie schon mehrere Hundert Mal gesehen hat. Günther betreibt mit seiner Frau in Solingen das Laurel und Hardy-Museum. Fünf Räume, eine Art begehbares Kuriositätenkabinett, vollgestopft mit Andenken an das Komiker-Duo: Figuren, Schmuckdöschen, Kaffeebecher, Autogrammkarten, Programmhefte, Plakate, Schellackplatten, und sogar ein Stan und Ollie-Flipperautomat, der noch in Betrieb ist. Mit zehn Jahren sieht Wolfgang Günther im Kino „Dick und Doof im Wilden Westen“. In dem begeisterten Jungen erwacht eine Passion, die ihn nicht wieder verlassen soll. 1985 gründet er den ersten deutschen Stan und Ollie-Fanclub, zwei Jahre später das Museum, zunächst in der Privatwohnung, seit 2003 in einem historischen Gebäude in Solingen. OTON Wolfgang Günther 2 In dieser Vitrine, da sind Schallplatten, darunter auch eine Schellackplatte aus dem Jahr 1932, die in London aufgenommen wurde, nach der ersten Europatour von Stan und Ollie. Aber wo die beiden dann ankamen im Hafen, da stand der ganze Hafen schwarz von Menschen, die dachten erst, da wäre ein Staatspräsident am Schiff, aber diese Tausende von Menschen, die wollten Stan und Ollie in England willkommen heißen. Und am Ende haben sie dann tatsächlich diese Platte produziert, als Dankeschön an die Engländer. Ein sehr seltenes Stück und eines meiner Lieblingsstücke aus ganz bestimmt. ATMO/MUSIK kurzer Ausschnitt aus Platte Pfeifen Dance of the Cuckoos, „Will you please stop annoying me while I make this speech?” “I’m not annoying you!” “Ladies and gentleman.” (lacht) (stop wiggling your tie, abblenden) ERZÄHLERIN 107 Filme haben Stan Laurel und Oliver Hardy gedreht, drei bleiben verschollen. Die restlichen 104 aber hat Wolfgang Günther gesammelt und führt sie den Gästen im Museum auf einer Leinwand vor, auf Schmalfilm, Video oder DVD. Bei Wunsch in allen möglichen Sprachen. Sind französische Fans zu Besuch, parlieren Stan und Ollie en français… ATMO frei: Film auf Französisch „Je suis Ollie…“ (( OTON Wolfgang Günther 3 Ich beschäftige mich ja schon mein halbes Leben mit Stan und Ollie, und wir haben eine sehr große Bibliothek hier in unserem kleinen Museum, hab viele Bücher gelesen und vor allen Dingen habe ich auch noch Menschen kennengelernt, die mit den beiden gearbeitet haben. Bei meiner ersten Convention in Amerika habe ich zum Beispiel einen alten Herren kennengelernt, der wirklich diese ganzen Props gemacht hat, also die Requisiten, die Autos, die auseinanderfallen mussten, präpariert und so weiter. Ich habe noch Schauspielerinnen kennengelernt, die mit den beiden gedreht haben. Das war schön und ich sage ja meinen Museumsbesuchern immer, sie müssen wissen, ich bin ja nicht mehr so jung, wie ich aussehe.)) ERZÄHLERIN Wolfgang Günther, im Museum mit Stan und Ollie-Weste und Krawatte gekleidet, dazu die typische Melone auf dem Kopf, hat etliche Anekdoten auf Lager. Etwa dass Stan Laurels Nummer für alle sichtbar im Telefonbuch von Santa Monica stand, bis zu seinem Tod 1965. Und meist sprach er auch mit allen, die anriefen. Vor allem mit den Fans, den großen und den kleinen, und erzählte ihnen Geschichten über Stan und Ollie, ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen. ERZÄHLERIN Die Arbeit zwischen Laurel und Hardy ist dabei klar verteilt: Oliver Hardy gibt vor der Kamera 100 Prozent, aber wenn die letzte Klappe fällt, bleibt er keine Sekunde länger als nötig und entschwindet in den Feierabend, zu seinem Lieblingshobby, dem Golfspielen. Stan Laurel hingegen ist der kreative Kopf, der mit einem Team von jungen Drehbuchautoren an den Gags und Geschichten feilt, der lange nach Drehschluss im Schneideraum sitzt und am Timing jeder Szene bis ins Detail arbeitet. Sven Hanuschek: OTON Sven Hanuschek 7 Man kann sich das, glaube ich, schon so vorstellen, dass Laurel der Besessene ist, also dem quasi egal ist, wer unter ihm Regie führt, der auch nie unbedingt genannt wird als Regisseur, aber er ist natürlich der Kopf hinter allem. Er denkt sich die Nummern aus, er macht die Nachbearbeitung, er macht den Schnitt, er bereitet den Dreh für den nächsten Tag vor, das ist auch ganz aufregend, dass er ein unglaublich genaues Gespür hatte, wie Timing sein muss. Frei Dialog: “I want to be in Dixie” “Well, I’m from the South, too.” “South of what?” “South of London”… ERZÄHLERIN Als Anfang der 1930er Jahre der Tonfilm zum Standard in den Kinos wird, geraten viele Stummfilm-Stars ins Straucheln und müssen ihre Karriere beenden. Nicht so Stan und Ollie - im Gegenteil. Sie nutzen die neuen Gestaltungsmöglichkeiten und werden noch populärer. OTON Sven Hanuschek 8 Dieser Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, das fand ich immer ganz beeindruckend. Der Ton, Geräusche, auch das wird zur Komik sofort eingesetzt. Und was auch zum Tonfilm ja gehört, zum Sprechen, wenn mehrere Personen im Raum sind, ist die Filmkonvention eigentlich gewesen im frühen Tonfilm, dass man nacheinander spricht, dass die sich abwechseln. Und das ist, glaube ich, auch nur bei Laurel & Hardy sofort so, dass die durcheinander reden, dass man gleichzeitig verschiedene Stimmen hört, was ja unserem Alltag entspricht. Ich meine, wir reden nicht geskriptet wie ein Drehbuch nacheinander säuberlich, sondern wir reden ineinander, übereinander. Und das hat Laurel sofort gesehen, gemacht, umgesetzt und auch Komik draus gezogen. ERZÄHLERIN Gar nicht komisch, sondern regelrecht tragisch sind dagegen die persönlichen Krisen, vor allem die Ehekrisen, die Oliver Hardy und Stan Laurel durchstehen müssen. Oliver Hardy ist dreimal verheiratet, bleibt kinderlos und leidet vor allem unter der jahrelangen Alkoholsucht seiner zweiten Ehefrau, bis er schweren Herzens 1937 die Scheidung einreicht. Stan Laurel ist insgesamt siebenmal verheiratet, tritt aber mehrfach mit denselben Frauen vor den Altar. Mit seiner ersten Ehefrau, Lois, hat er eine Tochter und einen Sohn, der neun Tage nach der Geburt stirbt. Ein Schicksalsschlag, an dem die Ehe zerbricht. Ehefrau Nummer Zwei, Ruth, heiratet er gleich zweimal. Sie wird später jede Nacht die Feuerwehr, die Notfallambulanz und die Polizei zu Stan ins Haus schicken, um ihren Ex zu ärgern. Und Ehefrau Nummer Drei, Illeana, ehelicht Stan Laurel - dreimal. Dazwischen liegen erbitterter Streit, viel zerbrochenes Geschirr und enorme Anwaltskosten. Sie verursacht betrunken Autounfälle, er gräbt wütend ein Loch im Garten, um die verhasste Gattin darin zu begraben. Erst mit Ehefrau Nummer Vier, oder eben nach anderer Zählweise, Ehefrau Nummer Sieben, findet Stan Laurel sein Glück, spät im Leben. MUSIK melancholisch, evtl. In my canoe ERZÄHLERIN Da hat die Karriere von Laurel und Hardy bereits etliche Dämpfer hinnehmen müssen. Hal Roach ist die endlose, schlechte Publicity um die Ehekrisen bei Stan Laurel leid und feuert ihn, nur um ihn später doch wieder einzustellen. Die Filmprojekte mit Oliver Hardy ohne Stan Laurel will niemand sehen. 1940 endet aber die Zusammenarbeit mit den Hal Roach Studios. Laurel und Hardy heuern bei 20th Century Fox und MGM an, drehen dort gutbezahlte Spielfilme, büßen aber an künstlerischer Freiheit ein. Sie müssen sich streng ans Drehbuch halten und haben kaum Freiraum für Improvisationen. 1951 entsteht in Europa ihr letzter Film, „Atoll K“, auch bekannt als „Dick und Doof erben eine Insel“. Ein Flop, der zu den schwächsten des Duos zählt, und bereits während der Dreharbeiten aufgrund einer schweren Erkrankung von Stan Laurel unter keinem guten Stern steht. MUSIK ERZÄHLERIN Neues Material gibt es nun nicht mehr, aber die Popularität bei den Fans bleibt ungebrochen, vor allem als das Fernsehen aufkommt, und die früheren Erfolge zu Quotenhits werden, in den USA und in Europa. In Großbritannien gehen Stan und Ollie Anfang der 1950er Jahre nochmals auf Bühnentour. Die Menschenmassen, die sie bei ihren öffentlichen Auftritten empfangen, sind Balsam für die alternden Künstler-Seelen. Im Mai 1954 findet die letzte gemeinsame Bühnenshow statt. Dann lässt die Gesundheit nach. Stan Laurel erleidet einen leichten Schlaganfall. Oliver Hardys Herz wird immer schwächer. Er magert stark ab und stirbt 1957 mit 65 Jahren. Stan Laurel überlebt ihn um gut sieben Jahre, tritt aber nie wieder in einem Film oder auf der Bühne auf. 1961 erhält er noch einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk, gern hätte er die Goldstatue gemeinsam mit seinem Freund und Partner Oliver Hardy entgegengenommen. MUSIK Way Out West / At the Ball that’s all (mit Jodel-Sound) ERZÄHLERIN Vielleicht hätten sich die beiden mit einem Sketch bedankt, oder einem ihrer zauberhaften Synchron-Tänze, so wie in ihrem eigenen Lieblingsfilm, dem Western „Zwei ritten nach Texas“, als sie einen staubigen Flecken Erde vor einem Saloon in eine magische Kinolandschaft verwandeln.…
r
radioWissen


1 Das lyrische Ich - Gedichte zwischen Fiktion und Wahrheit 23:40
23:40
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:40
Wer spricht in oder durch ein Gedicht? Die Vermutung liegt nahe, dass sich Autor und Autorin hier persönlich ausdrücken. Doch die Stimme eines Gedichts, auch lyrisches Ich genannt, kann viele Rollen oder Haltungen einnehmen. Steht das Werk also immer für sich ? egal, wie krass sich die dichtende Person danebenbenimmt? Von Justina Schreiber (BR 2024) Credits Autorin dieser Folge:Justina Schreiber Regie: Ron Schickler Es sprachen: Katja Amberger, Susanne Schroeder Technik: Susanne Herzig Redaktion: Susanne Poelchau Im Interview: Prof. Dr. Matías Martínez, Literaturwissenschaftler und Leiter des Institutes für Erzählforschung an der Uni Wuppertal Literaturtipps: Roland Barthes, „Der Tod des Autors“: Kleiner Text, der den strukturalistischen Ansatz des berühmten französischen Philosophen verdeutlicht. Matías Martínez, „Das lyrische Ich. Verteidigung eines umstrittenen Begriffs.“ In: Heinrich Detering (Hrsg.): „Autorschaft: Positionen und Revisionen. Stuttgart 2002, S. 376–389. Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek. ZUM PODCAST Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK Flicker of Flame 00:43min ZITATORIN: Ich ging im Walde so für mich hin. SPRECHERIN: Goethes Gedicht „Gefunden“ scheint ein individuelles Erlebnis zu veranschaulichen. Sieht man den lustwandelnden Dichter nicht förmlich vor sich, wie er am Wegrand dieses Blümchen entdeckt…? ZITATORIN: Wie Äuglein schön, SPRECHERIN: Und wie er es dann doch nicht pflückt… ZITATORIN: Ich wollt es brechen, SPRECHERIN: Aber das schöne Blümchen legt Protest ein. Es will nicht dahinwelken müssen. Na gut, dann wird es eben verpflanzt: ZITATOR: Ich grub’s mit allen Den Würzlein aus. Zum Garten trug ich’s Am hübschen Haus. SPRECHERIN: Goethe schickte dieses Gedicht seiner Ehefrau Christiane Vulpius im August 1813 zum 25-jährigen Jubiläum ihrer Beziehung. Es bietet sich also förmlich an, das Blümchen mit seiner Lebensgefährtin gleichzusetzen. Schließlich war ihr der Dichter zwar nicht im Wald, aber doch im Weimarer Park an der Ilm erstmals begegnet. War er damals etwa aufdringlich geworden? Hatte sie sich zur Wehr setzen müssen? Man könnte durchaus annehmen, dass das Ich, das aus dem Gedicht spricht, mit dem Autor eng verwandt ist, sagt der Literaturwissenschaftler Matías Martínez. O-TON 01: (Martinez) „Die Gattung der Lyrik legt es besonders nahe, den Autor zu identifizieren mit dem Sprecher.“ MUSIK Flicker of Flame 00:40min SPRECHERIN: Hier spricht ein realer Mensch, eine private Person: Besonders Erlebnislyrik wie Goethes Gedicht oder auch Liebesgedichte mit Widmung laden zu dieser Deutung ein. „An Luise. 1816“ heißt ein Poem von Joseph von Eichendorff, dessen Frau den Vornamen Luise trug. Sie hatte 1816 das erste gemeinsame Kind zur Welt gebracht. Kein Wunder also, nicht wahr? dass der Gatte das häusliche Glück bedichtete: ZITATORIN: Sitz‘st du vor mir, das Kindlein auf dem Arme. O-TON 02: (Martínez) „Es gibt ein Bedürfnis, Gedichte mehr noch als Romane und Theaterstücke, aber auch die, vor allem Gedichte tatsächlich zu beziehen auf autobiografische Erfahrungen des Autors.“ SPRECHERIN: Der Bezug zum Autor oder zur Verfasserin eines Gedichtes liegt besonders nahe, wenn in Gedichten – wie hier bei Goethe oder Eichendorff - „Ich“ gesagt, also die erste Person Singular des Personalpronomens verwendet wird. O-TON 03: (Martinez) „Lyrik ist traditionell die Gattung, in der ein Sprecher seine Meinung verkündet, seine Subjektivität zum Ausdruck bringt. Deshalb gab es auch immer die Tendenz, gerade bei Gedichten, diesen einzelnen Sprecher zu identifizieren mit dem realen Autor des Gedichtes.“ MUSIK Piano pecularity full 00:55min SPRECHERIN: Was aber, wenn das Ich eines Gedichtes nicht mit Blumen oder Frauen, sondern mit einem Mondkalb zu tun hat? Bei dem 1905 erstmals veröffentlichten Gedicht „Das ästhetische Wiesel“ des Dichters Christian Morgenstern handelt es sich offenkundig um ein reines Hirngespinst. Im Zentrum steht die Frage, warum ein Wiesel auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel saß. ZITATORIN: Das Mondkalb verriet es mir im Stillen. Es tat es um des Reimes willen. SPRECHERIN: Und das Mondkalb hatte sogar Recht. Gedichte folgen nämlich anderen Gesetzen als logischen oder biologischen. Sie können einem Reimschema folgen. Kiesel, Wiesel und so weiter. Lyrik hebt sich von der schlampigen automatisierten Alltagsrede ab, erklärt Matías Martínez: O-TON 04: (Martínez) „Traditionell ist die Lyrik ja immer definiert gewesen durch ihren Abstand zur Alltagsrede, zur Prosa, durch Reime, durch Metrik, durch rhetorische Figuren.“ SPRECHERIN: „Das ästhetische Wiesel“ ist also ein Kunstwerk. Und was ist mit dem Ich, das vom Mondkalb belehrt wird? Der Dichter Christian Morgenstern hat sicher nicht persönlich diesem merkwürdigen Tier gelauscht! Das Ich des Gedichts, das noch dazu keine Ahnung vom Reimen hat, gehört ganz klar in den Bereich der Fiktion. Aber auch Texte, die von persönlichen Stimmungen und Erlebnissen geprägt zu sein scheinen, sind ja gemacht und gedrechselt worden. Allein schon, damit Versmaß und Metrum stimmen, muss sich Dichtung die Wahrheit ein wenig zurechtbiegen. Daneben gibt es noch: MUSIK Off the ledge 00:35min ZITATORIN: Weitere Gründe dafür, dass die Dichter lügen SPRECHERIN: So heißt ein Gedicht des 2022 verstorbenen Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. ZITATOR: (…) der, von dem da die Rede ist, schweigt. SPRECHERIN: Wer ist dann der oder die Andere, wenn nicht Autor oder Verfasserin im Gedicht ihre Gefühle und Weltsicht kundtun? Die deutsche Literaturwissenschaft behilft sich hier mit der Konstruktion eines lyrischen Ichs. O-TON 05: (Martínez) „Dieser Begriff wurde zum ersten Mal 1910 von einer Literaturwissenschaftlerin namens Margarete Sussmann geprägt, die diesen Begriff benutzt hat, um das empirische Ich des Gedicht-Autors zu unterscheiden zwischen dem empirischen Autor-Ich und dem Text-Ich. Dieser Begriff ist dann sehr erfolgreich gewesen und wird bis heute gerne benutzt, allerdings in einer sehr uneinheitlichen Weise.“ SPRECHERIN: Andere Sprachen kennen den Begriff des lyrischen Ichs nicht. Manche sprechen von einem „lyrischen Subjekt“. Die Philosophin Margarete Susman wollte mit dem Terminus den Blick auf die Text-Eigenschaften eines Gedichts lenken. Doch die Debatten, die sich im 20. Jahrhundert um das lyrische Ich rankten, zeigen, wie dehnbar der Begriff im Grunde ist. Handelt es sich tatsächlich um eine poetologische Kategorie oder nicht doch eher um eine fast religiöse Idee von einem überpersönlichen Ich, das durch ein Gedicht spricht? Wer oder was äußert sich dann hier? Schwer zu sagen. O-TON 06: (Martínez) „Es gibt also keine Übereinstimmung darüber, was das lyrische Ich wirklich bedeuten soll.“ MUSIK Scenic Village 00:52min SPRECHERIN: Hinzu kommt: Jede Epoche hat ihren eigenen Zeitgeist und ihre eigenen Ausdrucksformen. Nehmen wir nur einmal das berühmte mittelalterliche Spruchgedicht: ZITATORIN: Ich saz ûf eime steine SPRECHERIN: Wer sitzt da wohl mit übereinander geschlagenen Beinen, den Kopf aufgestützt auf einem Stein und denkt über die politische Lage im Reich nach? Es kann eigentlich niemand anderes sein als der Verfasser des berühmten Gedichtes selbst, der Minnesänger Wolfram von Eschenbach. ZITATORIN: und dahte bein mit beine da rûf satzt ich den ellenbogen SPRECHERIN: Wer sonst sollte hier seine Gedanken kundtun? Die Frage nach dem lyrischen Ich bringt keinen Erkenntnisgewinn. Ähnliches gilt auch für barocke Leichen- oder Hochzeitsgedichte, die erwartbare Äußerungen machen, also, den Konventionen gemäß, gratulieren oder kondolieren. Hier äußern sich repräsentative Stimmen, keine lyrisch bewegten Subjekte. Trotzdem etablieren Gedichte immer eine besondere Sprecher-Rolle. Manchmal macht ja schon der Titel klar, dass jetzt zum Beispiel ein Zauberlehrling das Wort erhebt. MUSIK Der Zauberlehrling 00:24min SPRECHERIN: In anderen Texten dagegen bleibt die Herkunft der Rede offen. Oder um aus Schillers Ballade „Der Gang nach dem Eisenhammer“ zu zitieren: ZITATORIN: Herr, dunkel war der Rede Sinn! SPRECHERIN: Stammelt hier der fromme Fridolin. O-TON 07: (Martínez) „Das Verständnis von Lyrik hat immer ein bisschen geschwankt zwischen der Identifikation des Sprechers in diesem Gedicht oder der Sprecherin mit dem realen Autor oder der realen Autorin einerseits. Und andererseits gab es aber auch immer ein Bewusstsein darüber, dass, sobald jemand ein Gedicht schreibt, derjenige, der in diesem Gedicht spricht, herausgelöst ist aus einer normalen Kommunikationssituation.“ MUSIK First Steps Outsides 00:51min SPRECHERIN: Im antiken Griechenland trug man lyrische Texte noch zur Lyra oder Kithara vor. Der äußere Rahmen war festlich. Mit dem Buchdruck verbreiteten sich Gedichte dann auch in schriftlicher Form. Man kann die Textgattung nun am Drucksatz, an den kurzen Zeilen oder den Strophen erkennen. Ein privater Brief sieht anders aus. Doch: O-TON 08: (Martínez) „Wenn ich eine Liebes-Botschaft eben in diesen traditionellen lyrischen Formen vorbringe…“ SPRECHERIN: Wenn in einer Mail vielleicht eingerückt und abgesetzt ein Text steht, in dem sich Herz auf Schmerz, Blick auf Glück und Gefühl auf Gewühl reimt. O-TON 09: (Martínez) „Dann bekommt das auch in einer privaten Kommunikation einen anderen Charakter, einen verallgemeinernden Charakter.“ SPRECHERIN: Und man kann oder muss sich fragen: was will der lyrische Text mir eigentlich sagen? MUSIK Struggle With Reason 00:58min ZITATORIN: Einsamer Tag am Fenster (Amsterdam 1939) SPRECHERIN: So nennt die aus Nazi-Deutschland emigrierte Schriftstellerin Irmgard Keun ihr melancholisches Poem. ZITATORIN: Und ich träum gen Himmel. SPRECHERIN: Sehnsucht und Heimweh, Liebe und Tod, das Ich und die Welt, Glück und Leid, Werden und Vergehen. Gedichte mögen autobiographische Anlässe haben, sie mögen private Themen verarbeiten. Aber sie bilden seit Goethezeit und Romantik auch den Versuch ab, anders nicht Sagbares, vielleicht sogar Unsagbares in Worte zu kleiden. Sprachbilder und metaphorische Übertragungen können Empfindungen, Beobachtungen und Gedanken zu universell gültigen Aussagen oder Parabeln ver“dichten“. Ein Meister der Verallgemeinerung, der den hohen Anspruch der Poesie zugleich karikierte, war Wilhelm Busch. MUSIK Barmy Town 00:44min ZITATORIN: Das Zahnweh, subjektiv genommen, ist ohne Zweifel unwillkommen: doch hat’s die gute Eigenschaft, dass sich dabei die Lebenskraft, die man nach außen oft verschwendet, auf einen Punkt nach innen wendet. SPRECHERIN: Auch hier spricht, wenn man so will, ein lyrisches Ich, obwohl Wilhelm Busch nicht „ich“, sondern unpersönlich „man“ sagt. Sein lyrisches Ich distanziert sich vom leidenden Subjekt und betrachtet es spöttisch von außen: Ja, so kommst du der Welt abhanden, weil du Zahnweh hast. Und nicht wie andere größere(?) Dichter Liebeskummer. O-TON 10: (Martinez) „Es gibt viele Gedichte, in denen schon mal grammatisch gar nicht die erste Person Singular benutzt wird und die auch überhaupt eine Ausdrucksform benutzen, die eher neutral ist. Man wird aber schon sagen können, dass auch in Gedichten, in denen wir kein explizites Ich vorfinden, doch auch so eine Subjektivität sich ausdrückt.“ MUSIK A stranger 01:12min SPRECHERIN: Subjektive Darstellungen wecken Emotionen. Sie laden zur Identifikation ein. Gedichte können Saiten zum Klingen bringen, die im Alltag unterdrückt werden. Sie artikulieren diffuse Gefühle und vermitteln Zusammenhänge, die nicht von Daten, Fakten oder Algorithmen bestimmt werden. Rhythmus, Wortwahl und Sprachmelodie verführen zum Nachempfinden und Mitsprechen. Vielleicht geht ein Gedicht sogar ins kulturelle Gedächtnis einer Sprachgemeinschaft ein und überdauert die Zeiten - wie Eduard Mörikes Frühlingspoem „Er ist’s“, das bis heute gern vertont und zitiert wird. ZITATORIN: Frühling, ja, du bists! Dich hab ich vernommen! SPRECHERIN: Und siehe da! Wer ein Gedicht vorträgt oder zitiert, verschmilzt mit der Stimme, die aus dem Gedicht spricht. Insofern kann man sagen, so der Literaturwissenschaftler Matías Martínez: O-TON 11: (Martinez) „Dass das lyrische Ich derjenige ist, der das Gedicht spricht. Und das kann auch der Leser sein, der es eben nachspricht.“ SPRECHERIN: So erweitert sich das lyrische Ich zu einem lyrischen Wir, zu einem Chor von Sprecherinnen und Sprechern. Wer hat nicht schon beim Autofahren oder Tanzen Songtexte mitgesungen oder ein fremdes Liebesgedicht für eigene Zwecke eingesetzt? Stellvertretend für alle hat da jemand etwas in Worte gefasst und nimmt uns mit in eine andere Welt oder Stimmung: O-TON 12: (Martinez) „Das kann natürlich auch sehr unangenehm sein, wenn man sich auf einmal hineintransportiert findet in Situationen und in Haltungen, in Wertungen, die man nicht teilt. Aber gerade darin besteht natürlich auch eine Chance, von Literatur, Erfahrungen auszuprobieren spielerisch, die man im realen Leben nicht macht und vielleicht auch gar nicht machen möchte.“ MUSIK (Ich steh' auf) Berlin 00:45 ZITATORIN: Ich fühl mich gut Ich steh auf Berlin SPRECHERIN: Die Neue-deutsche Welle-Band „Ideal“ brachte 1980 ein Loblied auf Berlin heraus. Der Songtext, in dem sich „Morgenrot“ auf „Hundekot“ reimt, schaffte es 2023 in die erweiterte Neuausgabe des „Ewigen Brunnen“, einer Sammlung deutscher Gedichte aus acht Jahrhunderten. Ein Werk der Sängerin Annette Humpe steht jetzt also zwischen zwei Buchdeckeln vereint mit Gedichten von Friedrich Hölderlin, Theodor Storm, Bert Brecht und Ingeborg Bachmann. ZITATORIN: Ich ess die Pizza aus der Hand SPRECHERIN: Annette Humpes Verszeile ist keine banale Aussage mehr. Sie trägt einen exemplarischen Charakter wie auch Goethes Formulierung: ZITATORIN: Ich ging im Walde so für mich hin. SPRECHERIN: Die Bedeutung des Kontextes darf auf keinen Fall unterschätzt werden, wiederholt der Literaturwissenschaftler Matías Martínez: O-TON 13: (Martinez) „Dadurch wird auch der Sprecher dieses Gedichtes verändert, wenn ein Text als Gedicht zirkuliert und nicht einfach nur eine Äußerung ist in normaler alltäglicher Kommunikation. Denn auch der Sprecher wird dadurch selber zum Gegenstand der Betrachtung.“ SPRECHERIN: Während der eine im Wald ein Blümchen ausgräbt, ist die andere als Schwarzfahrerin mit der Berliner U-Bahn unterwegs. Aber es sind eben nur ein paar Indizien, aus denen Zuhörerinnen und Leser Schlüsse auf das Subjekt des lyrischen Textes ziehen. Die imaginierte Sprecher-Instanz, der Sprecher, der aus dem Gedicht spricht, wandelt sich je nach Perspektive und Deutung. O-TON 14: (Martínez) „Schon dadurch kann er nicht mehr automatisch identifiziert werden mit dem realen Autor als einem Alltagssubjekt.“ SPRECHERIN: Jeder Text führt ein Eigenleben, sobald er veröffentlicht ist. Der französische Philosoph Roland Barthes war der Meinung, dass moderne Gesellschaften der Person von Autoren und Autorinnen grundsätzlich zu viel Bedeutung beimessen. Stichwort: Starkult. Roland Barthes verkündete 1967 provokativ den „Tod des Autors“. O-TON 15: (Martinez) „Roland Barthes hat stattdessen die Geburt des Lesers propagiert, dass ein Text sich vollständig ablöst aus der Entstehungssituation und dass er sozusagen frei zirkuliert und die Bedeutung annimmt, die der Leser ihm gibt.“ SPRECHERIN: Was für das lyrische Ich bedeutet: es wäre nicht mehr bei den Autoren zu verankern, sondern bei den Lesern und Leserinnen, die mit einem Gedicht machen können, was sie wollen - sofern keine Urheberrechte verletzt werden. Verszeilen lassen sich abwandeln, verfälschen, weiterspinnen oder wie eine Blume eigenmächtig verpflanzen. Kunst hilft weiter, wenn die eigenen Worte fehlen. Doch was hätte Rainer Maria Rilke wohl zum inflationären Gebrauch seiner Verse in heutigen Todesanzeigen gesagt? ZITATORIN: Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. MUSIK Snow Again 01:23min SPRECHERIN: Manche Gedichte wirken einfach nur genial. Wie kommen Dichter und Dichterinnen eigentlich auf ihre Ideen? Woher bekommen sie ihre Eingebungen? Guten Gedichten merkt man die Arbeit am Text nicht an. Die Verse hüpfen leichtfüßig daher. Reime, Metrum, Rhythmus, alles fügt sich scheinbar selbstverständlich. Während der Autor vielleicht schwer um jedes Wort ringen musste, wirkt das fertige Werk dann wie eine Offenbarung. Das lyrische Ich kann sich meilenweit von der realen Person am Schreibtisch entfernen. Was im Umkehrschluss bedeutet: Dichter und Dichterinnen müssen sich für ihr lyrisches Ich nicht unbedingt verantwortlich fühlen. Wenn es sich zum Beispiel danebenbenimmt oder Unsinn verzapft, ließe sich argumentieren: Sie, die Verfasser, seien hier ja nicht persönlich tätig oder gar tätlich geworden. „Es“, eine Stimmung, eine Stimme, ein Gedanke, ein Funke, was auch immer, habe sie ergriffen und ihnen die Feder geführt. Kunst ist eben Kunst. Da ist einerseits etwas dran, sagt Matías Martínez. O-TON 16: (Martínez) „Die Freiheit der Kunst ist ja ein Grundrecht, das im Grundgesetz garantiert ist. Und wir haben ja auch eine Vorstellung davon, dass Kunst ein autonomer Bereich ist, in dem auch Haltungen und Meinungen präsentiert werden können, die Normen und Tabus durchbrechen. Vielleicht ist es ja sogar auch eine wichtige soziale Funktion von Kunst, eben auch bestimmte Grenzen zu überschreiten und zu provozieren. Andererseits muss sich die Kunst natürlich auch gefallen lassen, moralisch beurteilt zu werden. Sie agiert ja nicht in einem luftleeren Raum, sondern ist ja Teil einer gesellschaftlichen Diskussion.“ MUSIK Entitiy 00:51min SPRECHERIN: Etwa wenn es um sexuelle Gewalt geht. Als 2023 ein Dutzend Frauen Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann erhob, geriet auch sein Lyrikband „In stillen Nächten“ in Verruf, den er zehn Jahre vorher veröffentlicht hatte. Der Verlag beendete die Zusammenarbeit mit dem Autor, nachdem er sich in einem Musikvideo, das Buch schwenkend, in extremen Sexszenen inszeniert hatte. Die öffentliche Empörung veränderte den Blick auf das lyrische Ich seiner Texte. Moralische Urteile können der künstlerischen Freiheit Grenzen setzen. Wenn Till Lindemann in dem Gedicht „Wenn du schläfst“ die Vergewaltigung einer mit Rohypnol betäubten Frau beschreibt: O-TON 17: (Martínez) „Und zwar positiv markiert, dann kann man schon daran Anstoß nehmen. Also, da gibt es einen Ermessensspielraum, ob man diesen Text eher als ein Gedicht liest, das durch die Freiheit der Kunst gedeckt ist, oder als Äußerung eines empirischen Autors, der das zwar in Gedichtform tut, der aber doch da bestimmte Vorlieben erkennen lässt, die verwerflich sind. Wenn man da eben sagt, da wird ein sexualisierter Gewaltakt beschrieben, dann ist das ja schon ein sehr schwerwiegender Vorwurf.“ MUSIK Heidenröslein 00:50min SPRECHERIN: Ein gutes Gedicht zeichnet sich auch durch Mehrdeutigkeit aus. Stilistische Mittel wie Ironie, Parodie oder Rollensprache verhindern den Kurzschluss zwischen Autor und lyrischem Ich. Auch Goethe thematisiert ja in seinem Gedicht „Heidenröslein“ eine Vergewaltigung. Anders als Till Lindemann schildert er das Geschehen jedoch nicht nur aus der Sicht des vermutlich männlichen Sprechers. Er lässt das Opfer selbst, das Heidenröslein zu Wort kommen. ZITATORIN: Röslein wehrte sich und stach, Half ihm doch kein Weh und Ach, Mußt’ es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein roth, Röslein auf der Heiden. O-TON 18: (Martinez) „Bei Goethe wird zwar ein Unrecht beschrieben, aber es wird ja auch sehr stark der Leidcharakter dieses Unrechts hervorgehoben. Und insofern kann man sagen, dass in der Beschreibung dieses Unrechts oder dieses Übergriffs, dieser Gewalttat gleichzeitig auch so ein mahnender Charakter enthalten ist.“ MUSIK CHAMBER 01:27min SPRECHERIN: Die literaturwissenschaftliche Kategorie des lyrischen Ichs ist schillernd, verführerisch und trügerisch wie die Kunst selbst. Die Bandbreite poetischer Äußerungen lässt sich kaum auf einen Nenner bringen. Ob dichterische Inspirationsquellen vielleicht doch göttlich-überirdischer Natur sind oder eher mit Sex, Alkohol, Kaffee, Musik und Disziplin zusammenhängen: es gibt auf jeden Fall viele Faktoren, innere wie äußere, die ein lyrisches Werk beeinflussen, zum Beispiel auch Lärm, Geldnot, Selbstzweifel oder früher Ruhm. O-TON 19: (Martinez) „So ein kreativer Prozess hat natürlich immer auch immer mit dem individuellen Autor zu tun. Nicht jeder Autor bringt beliebige Texte hervor, sondern es gibt natürlich ein enges Verhältnis zwischen der Individualität eines Autors, also seiner Person und der Kunst oder den Texten, die er hervorbringt, das ist ein schwieriges, und ich würde sagen, offenes Gebiet.“ SPRECHERIN: Umso besser passen hier jetzt also die Worte, mit denen der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Debatten abzuschließen pflegte, in Abwandlung des Bert-Brecht-Zitats: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen“… ZITATORIN: Wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.…
r
radioWissen


1 Vulkanausbruch - Und was kommt danach? 23:08
23:08
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:08
Vulkanausbrüche auf La Palma (2021) und Heimaey (1973) zeigen, welch umgreifenden Folgen solche Naturkatastrophen auf die Bewohner und die Landschaft haben. Doch nicht alles ist katastrophal: Landgewinnung, geothermale Energie, Lava-Tourismus und neue fruchtbare Erde bringen auch Vorteile. Von Brigitte Kramer (BR 2022) Credits Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Andreas Neumann, Julia Fischer, Peter Lersch Technik: Winfried Messmer Redaktion: Matthias Eggert Das Manuskript zur Folge gibt es HIER . Im Interview: Juana Vegas (Geologin, Spanisches Institut für Geologie und Bergbau, Madrid); Azucuhae del Rosario Martín (Vorsitzender Bürgerverein, La Palma); Kristín Johannsdótir (Leiterin Vulkanmuseum Insel Heimaey, Island); Andreas Klügel (Geologe, Universität Bremen) Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Vulkane in Deutschland – schlafende Riesen JETZT ANHÖREN Vulkanismus - Von Lava und Magma JETZT ANHÖREN Linktipp: Spannende Berichte über aktuelle Forschung und Kontroversen aus allen relevanten Bereichen wie Medizin, Klima, Astronomie, Technik und Gesellschaft gibt es bei IQ - Wissenschaft und Forschung: BAYERN 2 | IQ - WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN…
r
radioWissen


1 Simultandolmetschen – Die Macht der schnellen Übersetzung 22:10
22:10
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad22:10
Beim ersten Nürnberger Prozess gelang, was zunächst unmöglich schien: Dolmetschen fast ohne Zeitverzögerung. Ohne diese Gleichzeitigkeit wäre heute internationale Politik und Globalisierung kaum denkbar. Welche Verantwortung haben Dolmetscher? Und was, wenn KI ihre Aufgabe übernehmen würde? Von Hans Christoph Böhringer Credits Autor dieser Folge: Hans Christoph Böhringer Regie: Martin Trauner Es sprach: Thomas Birnstiel Technik: Josef Angloher Redaktion: Nicole Ruchlak Im Interview: Jennifer Kearns, Dolmetscherin bei der UN in Wien Elke Limberger-Katsumi, Konferenzdolmetscherin Nürnberg Alexander Waibel, Informatiker am KIT, Dolmetsch-Technologie-Pionier Martina Behr, Forscherin an der Uni Innsbruck (nur Hintergrund) Thilo Hatscher, Dolmetscher, Berufsverband AIIC (nur Hintergrund) Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren: Tiere verstehen? Zwischen Deutung und Forschung JETZT ENTDECKEN Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört. ZUM PODCAST Literatur: Jesús Baigorri Jalón „From Paris to Nuremberg: The Birth of Conference Interpreting“ – erzählt die Geschichte des Konferenzdolmetschens in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHER: An einem Dienstagvormittag in Wien beginnt eine Konferenz der Vereinten Nation. Von den Kabinen der Dolmetscher aus kann man durch eine Glasscheibe beobachten, wie unten die Konferenzteilnehmer in dem holzgetäfelten Saal Platz nehmen. ATMO 01 Konferenzteilnehmerin spricht. SPRECHER: Drückt der Techniker in seiner Kabine auf einen Knopf, wechselt der Sprachkanal. ATMO 02 Stimme wechselt SPRECHER: Alles, was unten gesagt wird, wiederholen oben in den Kabinen die Dolmetscher in den jeweils anderen UN-Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Russisch, Chinesisch. SPRECHER: Ohne die schnelle mündliche Übersetzung von einer Sprache in die andere wäre eine Konferenz wie diese nicht möglich. Aber es ist eine Technik, die für Dolmetscher sehr fordernd ist. ZSP 01 KEARNS: [00:27:06] Man braucht ein bisschen … diesen Stress. Eben diesen Adrenalinstoß, um weiter zu dolmetschen. [00:27:11][5.0] ZSP 02 KEARNS: [00:27:12] Wir meckern zwar drüber, wenn wir gestresst sind und es ist so schnell und es ist so brenzlig, aber eigentlich lieben wir das. [00:27:21][8.6] MUSIK: „Frontside Backside“ (0:20) SPRECHER: Simultandolmetschen ist ein unsichtbares Zahnrad, das die internationale Politik und Wirtschaft am Laufen hält. Ganz besonders brenzlig ist es, wenn es um Krieg oder Frieden geht, um Schuldspruch oder Freispruch. MUSIK weg SPRECHER: Es ist das Jahr 1934 und der Franzose André Kaminker dolmetscht live eine Rede. So kann das französischsprachige Publikum vor dem Radio unverzüglich hören, was da gesagt wird. Die Rede wird in Nürnberg gehalten. Der Redner: Adolf Hitler. Er spricht beim Parteitag der Nationalsozialisten. Und André Kaminker war damit einer der ersten Menschen, die vor großem Publikum echtes Simultandolmetschen praktiziert haben. MUSIK: „Detached“ (0:54) SPRECHER: Damals hatte sich der Beruf Dolmetscher schon durchgesetzt. Vorbei war längst die Zeit, in der Diplomatie einfach auf Französisch stattfand und die Angelegenheit von europäischen Adligen war. Aber Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts war der Standard noch das Konsekutivdolmetschen: Während einer Rede hörte der Dolmetscher zu, machte Notizen, und verlas anschließend die Übersetzung – so lief es beim Völkerbund, dem Vorläufer der UN. Weil das Konsekutive viel Zeit in Anspruch nahm, gab es in den 1920er Jahren sowohl in der Sowjetunion als auch in der Schweiz Versuche, die Verdolmetschung simultan zu machen. Anfangs setze man dabei auf Stenografen, die während der Rede dem Dolmetscher ihren Mitschrieb zuschieben – dass jemand gleichzeitig zuhören und in einer anderen Sprache sprechen könnte, schien zunächst unmöglich. MUSIK aus SPRECHER: Als André Kaminker 1934 Hitlers Rede dolmetschte, war das Simultane also noch die Ausnahme. Der eigentliche Durchbruch kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Wieder war der Ort Nürnberg. ZSP 03 ARCHIV NÜRNBERG OPENING - ROBERT JACKSON: [00:00:07] The privilege of opening the first trial in history for crimes against the peace of the world imposes a grave responsibility. [00:00:22][15.1] SPRECHER: So beginnt im Herbst 1945 der Chefankläger Robert Jackson die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher. Auf der Anklagebank sitzen hohe Funktionäre des NS-Regimes, darunter Hermann Göring, der als einer der wichtigsten Komplizen Hitlers gilt. ZSP 04 ARCHIV NÜRNBERG OPENING - GÖRING: Ich befinde mich im Sinne der Anklage: nicht schuldig. SPRECHER: Die Angeklagten und die Verteidiger sprechen Deutsch. Die Richter, die Ankläger und viele Zeugen sprechen Englisch, Russisch und Französisch. Beim Völkerbund der Zwanzigerjahre wurde hintereinander ins Englische und ins Französische gedolmetscht, schon dadurch zogen sich die Sitzungen sehr in die Länge. Und laut Berichten waren die Teilnehmenden dadurch oft unaufmerksam oder hatten sogar den Saal verlassen, wenn gerade in einer für sie unverständlichen Sprache gesprochen wurde. Es war also schon im Vorfeld klar, dass man bei den Nürnberger Prozessen anders mit der mehrfachen Sprachbarriere umgehen musste, sonst hätte das ohnehin schon riesige Unterfangen bis zu viermal länger gedauert. So kam es zum Durchbruch des Simultandolmetschens. Es brauchte dafür das richtige System, Kopfhörer, Kabel und Schaltpulte, die die US-amerikanische Firma IBM herstellte. Und dann brauchte es geeignete Dolmetscher, die unter hohem Zeitdruck gleichzeitig zuhören, übersetzen und sprechen konnten. ZSP 05 Limberger Katsumi: [00:13:15] Also praktisch alle waren zweisprachig, mindestens zweisprachig. [00:13:20][4.9] [00:13:26] Sie waren im Exil gewesen. Sie sind geflüchtet. [00:13:33][7.2] [00:13:52] Die Geschichten wie ihre Flucht, ihre Vertreibung, ihre Familiengeschichte waren, sind sehr, sehr divers. Sehr, sehr aufregend, meiner Ansicht nach. [00:14:03][11.4] SPRECHER: Das ist Elke Limberger-Katsumi. Sie hat seit Ende der Siebzigerjahre als freiberufliche Dolmetscherin gearbeitet, am Standort Nürnberg. ZSP 06 Limberger Katsumi: [00:04:36] Und im Rahmen des Aufbaus meiner freiberufliche Karriere - - hab ich auch immer wieder Veranstaltungen zu dolmetschen gehabt, die mit den Prozessen zu tun hatten, mit Jahrestagen, mit Ehrungen usw und so fort und habe immer mehr darüber erfahren. Vor allem habe ich erfahren, dass keiner was über die Dolmetscher wusste. [00:05:01][25.5] SPRECHER: Also hatte Limberger-Katsumi beschlossen nachzuforschen: Wer waren die Menschen, die bei den Nürnberger Prozessen gedolmetscht? MUSIK: „Detached“ – Z8046179 104 (0:42) ZSP 07 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Engl. Dolmetscherin: [00:00:39] That's right. The Wehrmacht did march in. [00:00:43][3.7] SPRECHER: In den Archiven finden sich einzelne Filmaufnahmen mit verrauschtem Ton, darauf sind Dolmetscher und Dolmetscherinnen bei den Nürnberger Prozessen zu sehen. Es sind vermutlich inszenierte Aufnahmen oder Proben, keine Ausschnitte aus den eigentlichen Verhandlungen. ZSP 08 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Franz. Dolmetscher: [00:02:26] J'ai appris que le Führer avait décidé. [00:02:30][4.6] ZSP 09 Limberger Katsumi: [00:03:28] Man merkt ganz deutlich, dass diese Leute sprachlich überhaupt kein Problem hatten. [00:03:35][7.5]# ZSP 10 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Russ Dolmetscherin: [00:03:13] Я стараюсь ставить простые вопросы. Я прошу, чтобы задавали простые ответы. [00:03:21][8.2] (Ich versuche, einfache Fragen zu stellen. Ich bitte um einfache Antworten.) ZSP 11 Limberger Katsumi: [00:03:44] Aber dieses Gleichzeitige und dieses Ungewohnte und diese natürlich furchtbar umständliche Technik, da mussten sie sich dran gewöhnen. [00:03:54][9.9] SPRECHER: Limberger-Katsumi und ihre Kollegen vom Dolmetscherverband A.I.I.C. haben die Biografien einiger Dolmetscher und Dolmetscherinnen recherchiert. Viele haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren Opfer des NS-Regimes gewesen. Viele waren jüdisch und hatten vor den Nationalsozialisten fliehen müssen. Einige hatten Haft oder sogar ein Konzentrationslager überlebt. ZSP 12 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Rosoff: [00:01:26] Mais Keitel nous a raconté plus tard qu'il était passé avec vous … inscrit dans votre journal… [00:01:33][6.9] SPRECHER: Eine der Dolmetscherinnen war Genia Rosoff, sie dolmetscht hier ins Französische. ZSP 13 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Rosoff: [00:01:37] … A la page 133 du livre, le document numéro sept. La même page! [00:01:43][5.7] SPRECHER: Genia oder Eugenia Rosoff kam aus Frankreich. Ihre Eltern waren jüdische Immigranten aus Polen und Russland. Mit der Besatzung durch die Deutschen wurde Rosoff und ihrer Familie die französische Staatsbürgerschaft entzogen. ZSP 14 Limberger Katsumi: [00:20:24] Sie arbeitete als Englischlehrerin zu dem Zeitpunkt. Dann schloss sie sich der Résistance an und … [00:20:30][6.0] [00:20:37]... sie wurde auf jeden Fall verpfiffen und von der Gestapo in Paris inhaftiert. [00:20:44][6.2] SPRECHER: So kam Genia Rosoff in das Konzentrationslager Ravensbrück. Kurz vor Kriegsende wurde sie durch einen Deal des Roten Kreuzes befreit. Zu dem Zeitpunkt, als sie von den bevorstehenden Prozessen in Nürnberg hörte, arbeitete sie als Journalistin. Sie meldete sich als Dolmetscherin – und bestand den Aufnahmetest. ZSP 15 Limberger-Katsumi [00:23:00] … hat auch den Test bestanden, den übrigens 80 % der Leute, die sich gemeldet haben, nicht bestanden haben. [00:23:11][11.5] SPRECHER: Die Dolmetscher mussten eine doppelte Belastung aushalten: Einerseits war das Simultane eine kognitive Anstrengung. Andererseits war das Dolmetschen auch psychisch belastend: Denn als Dolmetscherin muss man die Intention und den Standpunkt des Sprechers wiedergeben, auch wenn man damit vielleicht überhaupt nicht einverstanden ist – oder der Standpunkt einem sogar im Innersten widerstreben. Die Nürnberger Prozesse gegen die NS-Kriegsverbrecher müssen da ein Extremfall gewesen sein. Aber Genia Rosoff hielt dem Druck stand. ZSP 16 Limberger Katsumi: [00:23:11] … Und war nach Bekunden von Kollegen, eine der besten Dolmetscherinnen, also simultan… und unheimlich neutral. Hat auch die schlimmsten Sachen richtig – also so richtig im Sinne von neutral – rübergebracht. [00:23:33][21.7] MUSIK: „Frontside Backside“ (0:20) SPRECHER Genia Rosoff gehörte schließlich zu den ausgewählten Dolmetschern, die nach New York geschickt wurde. Sie sollten dort das Simultandolmetschen einer frisch gegründeten Organisation vorstellen: den Vereinten Nationen. MUSIK hoch und weg ATMO 03 TÜREN gehen auf, Schritte durch einen Flur. SPRECHER: Zurück zu einem anderen Standort der Vereinten Nationen: Wien. Die Konferenz ist zu Ende. Jennifer Kearns, die wir schon anfangs kurz gehört haben, führt uns weg von den Kabinen und in einen der leeren Säle. ZSP 17 KEARNS: [00:23:16] Ich bin irische Staatsbürgerin. Meine Muttersprache ist Englisch und ich dolmetsche aus dem Französisch, Spanisch und Deutsche ins Englische. Bei der UNO natürlich aus Französisch und Spanisch ins Englische. [00:23:31][14.9] SPRECHER:. Ins Deutsche wird bei der UN in Wien nur selten gedolmetscht, denn Deutsch ist keine der sechs offiziellen UN-Sprachen. Das Simultandolmetschen ist heutzutage Standard für Konferenzen und vor Gericht. Angehende Dolmetscher lernen dafür zum Beispiel das sogenannte Antizipieren, dabei versucht man vorauszusehen, wo der Sprecher mit einem Satz hinsteuert. Das ist vor allem im Deutschen wichtig, in der „Awful German Language“, wie sie einst der Schriftsteller Mark Twain genannt hatte, weil im Deutschen erst nach vielen Nebensätzen endlich das Verb kommt – wenn man schon wieder längst vergessen hat, wie der Satz anfing.... Eine andere Technik ist das Segmentieren: Man übersetzt längere Sätze in kleinen Sinnabschnitten, Stück für Stück. ZSP 19 KEARNS: [00:07:30] ... und üben, üben, üben. Macht Meister, ne? [00:07:34][4.0] MUSIK: „Frontside Backside“ – Z8031510 103 (0:25) SPRECHER: Die Verzögerung zwischen Originalrede und gedolmetschter Rede nennt man “Décalage”, französisch für “Verschiebung”. Eine Décalage von drei bis vier Sekunden beziehungsweise von vier bis fünf Wörtern ist typisch, aber das hängt sehr davon ab, was gerade gedolmetscht wird. Schneller ist nicht immer besser. Denn es gibt keine Zurücktaste. Und ein kleiner Fehler beim Dolmetschen kann große Konsequenzen haben. Ein Beispiel aus dem Jahr 1956: Da sagte der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow zu versammelten westlichen Diplomaten: “Wir werden euch begraben.” So hatte es zumindest sein Dolmetscher übersetzt. Dieser vermeintliche Ausspruch Chruschtschows wurde in US-Medien als Drohung verstanden und wurde in Forderungen nach Aufrüstung zitiert. Der Kontext der Rede lässt allerdings darauf schließen, dass es Chruschtschow um die langfristige Überlegenheit des Kommunismus ging. Die wahrscheinlich bessere Verdolmetschung wäre also gewesen: “Wir werden euch überdauern.” Genau die Absicht des Redners widerzugeben, macht das Simultandolmetschen sehr anspruchsvoll. Gibt es einen Trick, wie man mit dem Stress klar kommt? Ein Ritual, bevor das Mikrofon eingeschaltet wird? ZSP 20 KEARNS: [00:11:02] Ein Kaffee trinken. (lacht) [00:11:03][0.5] [00:11:11] Das heißt, ich ... man hat immer noch einen Adrenalinstoß, Natürlich, bevor das losgeht. Das hängt auch davon ab. Was ist das für eine Sitzung? Wer nimmt da teil? Wie findet es statt? Worum geht's? [00:11:25][13.5] SPRECHER: An einem Tag dolmetscht Kearns für ein Treffen der internationalen Atomenergiekommission, an einem anderen Tag für eine Konferenz über einen Drogenbericht. Besonders schwierig sind Informationen, die sich nicht aus dem Kontext erschließen, die aber genau übersetzt werden müssen: Fachbegriffe, Zahlen oder Eigennamen. Da hilft Vorbereitung. Aber auch bei der besten Vorbereitung: Was zählt, ist das gesprochene Wort. Gedolmetscht wird spontan. ZSP 21 KEARNS: [00:14:34] Witze sind extrem anstrengend, weil sie meistens auf Wortspiel basieren und Wortspiel von einem Sprach ins andere zu übersetzen... im heißen Geschehen der Dinge ist nicht einfach. [00:14:46][12.2] SPRECHER: Als Dolmetscherin muss Kearns auch versuchen, die Stimmung zu transportieren. ZSP 22 KEARNS: [00:33:32] Also an einen Sitzungen, an die ich mich besonders erinnern kann, war die internationale Gedenktag für Ruanda, die jährlich stattfindet und wo viele persönliche Schilderungen gegeben werden, die extrem berührend sind, extrem traurig [00:33:53][21.2] [00:27:57] Das liegt zwar schon einiger Zeit her, natürlich, aber zu sehen Familienmitglieder und Überlebende, die von einem Massaker erzählen, dann hat man eben dieser Verantwortung. [00:28:11][13.9] [00:28:26] Und an dieser speziellen Sitzung vor einigen Monaten hatten wir eine Dame. Sie hat von einem Tag in ihrem Leben erzählt während dieses Massaker. Und hat am Schluss dann ein Gedicht, weil sie war Dichterin, hat ein Gedicht ihre eigene Gedicht vorgelesen. [00:28:49][22.4] [00:29:00] Man will genau den richtigen Ton treffen. Und weil, wenn ich das nicht richtig vermittle, dann habe ich ihr eine Untat getan. Und dann kommt auch noch ein Gedicht dazu. Also Poetik zu übersetzen simultan. Da habe ich schon gedacht okay, aber jetzt.... Aber es war wirklich schön und das war eine wunderbare Herausforderung. [00:29:21][21.2] SPRECHER: Wenn Dolmetscher ihren Job richtig machen, fallen sie meist nicht auf. So kommt es manchmal, dass die Leistung der Dolmetscher nicht unbedingt gewürdigt wird. Dabei sind lange Reden oder ein schnelles Hin und Her sehr fordernd. Und Dolmetscher sind in besonderem Maße davon abhängig, dass die Tonqualität gut ist. Als in der Pandemie immer öfter Konferenzen remote stattfanden, traten die Dolmetscher der EU in einen Streik. Die Tonqualität sei oft zu schlecht, die Hintergrundgeräusche seien belastend, die Arbeitsbedingungen unzumutbar. MUSIK: „Detached“ – (0:35) SPRECHER: Simultandolmetschen ist anstrengend. Deswegen müssen sich die Dolmetscherinnen und Dolmetscher alle halbe Stunde abwechseln. Beispielsweise für eine zweistündige Besprechung in zwei Sprachen braucht man bis zu vier Dolmetscher, wenn, wie bei der UN oder der EU üblich, jeder nur in seine Muttersprache dolmetscht. Das kann sich nicht jeder leisten. Gerade für kleinere Firmen gibt es daher den Anreiz, sich nach Alternativen zu menschlichen Dolmetschern umzusehen. MUSIK: „Theme from Star Trek“ – (0:35) SPRECHER: In der Science-Fiction-Zukunft braucht man keine Dolmetscher mehr. James T. Kirk, der Kapitän des Raumschiffs Enterprise, kann mit jedem Außerirdischen sprechen. Denn Kirk hat einen sogenannten Universalübersetzer, ein kleines Gerät, das automatisch jede Sprache in eine andere übersetzen kann. Das ist, wie gesagt, Fiktion. Aber der echte Captain Kirk, also der Schauspieler William Shatner, besuchte Ende der Neunziger einen deutschen Forscher. Shatner wollte sich überzeugen, dass es ihn tatsächlich bald gibt: den Universalübersetzer. ZSP 23 WAIBEL: [00:05:06] Mit diesem maschinellen Übersetzungsprogramm kann ich ein Video von mir machen, in dem ich in beliebigen Sprachen spreche. [00:05:12][6.7] ZSP 24 WAIBEL-Klon: (Leicht überlagert) [00:06:09] With this machine translation program, I can make a video of myself speaking in any language. [00:06:15][5.3] SPRECHER: Das ist Alexander Waibel. Beziehungsweise: Das ist die Maschinen-übersetzungen von Alexander Waibel, also ein Klon seiner Stimme. Waibel erforscht Kommunikationstechnologie am Karlsruher Institut für Technologie, kurz K.I.T. Er ist schon lange mit dem maschinellen Dolmetschen beschäftigt. 1978 hat er damit angefangen, als das noch Science Fiction war. ZSP 25 WAIBEL: [00:06:07] Ich war noch ein junger Student und blauäugig und naiv, wusste nicht, wie schwierig die Aufgabe tatsächlich sein würde, weil eben diese Ambiguität oder die Doppeldeutigkeit in allen Ebenen sozusagen vorliegt. [00:06:21][13.4] SPRECHER: Die Schwierigkeit ist also, mit der Mehrdeutigkeit des gesprochenen Wortes klarzukommen. Anfang der Neunziger Jahre begannen Waibel und seine Kollegen statistische Methoden zu nutzen. Wenn zum Beispiel in einem Satz das Wort “Deutsche” vor dem Wort “Bank” steht, ist es wahrscheinlich keine Bank zum Draufsetzen. Waibel entwickelte so die erste europäisch-US-amerikanische Dolmetschsoftware. Als William Shatner im Jahr 1999 Waibel besuchte, konnte diese Software allerdings nur einzelne Sätze nacheinander übersetzen und war auf bestimmte Gesprächsthemen beschränkt, zum Beispiel auf Hotelreservierungen. Es dauerte noch ein paar Jahre für den Prototypen des Universalübersetzers. ZSP 27 ARCHIV LECTURE TRANSLATOR, WAIBEL: [00:00:06] Good morning. Thank you very much. It's very nice to have you here. [00:00:19][13.0] SPRECHER: Bei einer Pressekonferenz im Jahr 2005 demonstrierte Waibel den Lecture Translator. Es war der weltweit erste automatische Simultandolmetscher. ZSP 28 ARCHIV LECTURE TRANSLATOR, WAIBEL: [00:00:22] … Before we begin to show you what's new today … [00:00:33][11.0] (Waibel spricht darunter auf Englisch weiter. Die Übersetzung liegt drüber.) [00:00:34] … Bevor wir anfangen, Ihnen zu zeigen, heute neu, wie viel, die wir haben, demonstrieren. Ich möchte Ihnen die Technologie, die Vergangenheit Entwicklung auf die Grundlage von denen wir getan haben, diese neue Fortschritte… [00:00:49][15.8] SPRECHER: Das Resultat war noch holprig. Aber Waibel und sein Team haben den Lecture Translator seitdem weiterentwickelt. Seit 2012 wird der Lecture Translator am K.I.T. in vielen Vorlesungen eingesetzt, damit internationale Studierende es leichter haben. Einen klaren Vorteil hat die Maschine gegenüber dem Menschen: Die Gleichzeitigkeit von Sprechen und Zuhören macht einen Computer nicht müde. Seit der Erfindung des Lecture-Translators hat sich die Computer-Übersetzung deutlich verbessert – dank Methoden des Maschinellen Lernens, dank wachsender Rechnerleistungen und dank großer Mengen an Trainingsmaterial aus dem Internet. Nun kann die Dolmetschsoftware Kontext besser erfassen. MUSIK: „Detached“ – (0:40) ZSP 30 WAIBEL (deutsch): [00:00:00] So kann jeder mit jedem sprechen, auch wenn er die andere Sprache nicht versteht. [00:00:00][0.0] (überlagert sich mit…) ZSP 31 WAIBEL-Klon (englisch): [00:00:00] So everyone can talk to everyone, even if they don't understand the other language. [00:00:00][0.0] ZSP 32 WAIBEL-Klon (japanisch): [00:00:00] そう すれ ば、 たとえ 他 の 人 が その 言語 を 理解 し て い なく て も、 誰 も が 誰 と で も 話せる の です。 [00:00:00][0.0] SPRECHER Alexander Waibel sieht die Maschine eher als Ergänzung für den menschlichen Dolmetscher. Er erklärt, dass noch eine Menge Probleme zu lösen seien. Er deutet auf seine Doktoranden und Doktorandinnen, die während der Vorführung des Lecture Translators auf der anderen Seite des Konferenztisches sitzen. Ein jeder arbeitet an einem dieser Probleme: Emotionen übertragen. In einen bestimmten Akzent oder Dialekt dolmetschen. ZSP 34 WAIBEL: [00:58:12] Und das sind alles noch so Aufgaben, die aktuell noch nicht funktionieren und wo sicherlich der Mensch das besser einordnen kann als als Maschinen aktuell. [00:58:39][27.3] MUSIK: „Frontside Backside“ – (1:20) SPRECHER Und schließlich gibt es noch das vielleicht ultimative Problem des maschinellen Dolmetschens: echtes Verstehen der Situation. Eine menschliche Dolmetscherin versteht, warum etwas gesagt wird, warum es einen Gedenktag gibt, und wer da spricht. Von diesem Urteilsvermögen hängt schließlich ab, ob die Dolmetscher und Dolmetscherinnen ihrer Verantwortung gerecht werden können. Vielleicht braucht es die seltenen Momente, in denen sie aus ihrer Unsichtbarkeit ausbrechen, um klar zu machen, warum Menschen diese Aufgabe in besonders brisanten Situationen übernehmen sollten. Zum Beispiel wenn die Dolmetscher im EU-Parlament streiken, weil die Audioqualität zu schlecht ist. Sie wissen, was sie brauchen, um ihren Job gut zu machen. Eine Maschine weiß das noch lange nicht.…
r
radioWissen


1 Der Grönlandhai - Das langlebigste bekannte Wirbeltier der Welt 22:55
22:55
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad22:55
Grönlandhaie werden bis zu 600 Jahre alt und sind damit die ältesten bekannten Wirbeltiere. Sie sind auch sehr langsam, sie schaffen nur rund drei Stundenkilometer. Ob sie gefährdet sind, weiß man nicht. Mit der Eisschmelze in der Arktis nimmt aber die Fischerei und damit die Bedrohung ihres Lebensraums zu. Von Brigitte Kramer (BR 2023) Credits Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer Regie: Kirsten Böttcher Es sprachen: Irina Wanka Technik: Monika Gsaenger Redaktion: Bernhard Kastner Interviewpartner/innen: Jürgen Kriwet, Paläobiologe, Universität Wien; Matthias Schaber, Biologe, Ozeanograph, Thünen-Institut (Institut für Seefischerei), Bremerhaven Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Pottwale - Tauchmeister der Tiefsee JETZT ANHÖREN Artenwandel im Anthropozän - Der Einfluss des Menschen auf die Evolution JETZT ANHÖREN Wale - Faszinierende Wanderer der Ozeane JETZT ANHÖREN Der Narwal - Einhorn des arktischen Ozeans JETZT ANHÖREN Das Walross - Dickhäutiger Koloss der Arktis JETZT ANHÖREN Eisschmelze - Verlorene Lebensräume für viele Tiere JETZT ANHÖREN Literaturtipps: Katherine Rundell: The golden mole and other living treasure. Faber & Faber Ltd, 2022 Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das Manuskript zur Folge gibt es HIER .…
r
radioWissen


1 Simon Marius - Der fränkische Galilei 23:51
23:51
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:51
Simon Marius hat unabhängig von Galilei die großen Jupitermonde entdeckt. Er wurde dafür aber nicht gefeiert, sondern als Plagiator geschmäht. Und es sollte fast drei Jahrhunderte dauern, bis dieser "stille Held" der Wissenschaftsgeschichte endlich rehabilitiert wurde. Von Martin Schramm (BR 2024) Credits Autor dieser Folge: Martin Schramm Regie: Ron Schickler Es sprachen: Andreas Neumann, Rahel Comtesse, Christoph Jablonka Technik: Susanne Herzig Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker, Präsident der Simon Marius Gesellschaft, Nürnberg; Dr. Hans Gaab, Astronomiehistoriker, Nürnberg Linktipps: Diese Internetpräsentation wurde im Jubiläumsjahr 2014 gestartet und führt alle elektronisch verfügbaren Quellen, Sekundärliteratur, Vorträge und Nachrichten zu Simon Marius zusammen und macht sie – wo möglich – bequem einsehbar. Die Initiatoren laden die Öffentlichkeit ein, diese Seite als zentrales mehrsprachiges Portal für Simon Marius zu nutzen und zu erweitern: EXTERNER LINK | https://www.simon-marius.net/ Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir: ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN Skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Das Kalenderblatt erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks. DAS KALENDERBLATT Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek. ZUM PODCAST Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK Dark Matter 01:39min SPRECHER Wir schreiben das Jahr 1623. Galileo Galilei ist außer sich. In seiner Schrift „Il Saggiatore“ platzt im regelrecht der Kragen: ZITATOR Galilei („Il Saggiatore“, Firenze 1623) “Ich will nicht länger schweigen über jenen üblen Profiteur, der bereits viele Jahre zuvor meine Erfindung des geometrischen Kompass als seine eigene ausgegeben hat, und mir jetzt mit unverschämter Dreistigkeit erneut eine Entdeckung streitig macht. Diesmal mag ich es mir verziehen, wenn ich entgegen meiner Natur und Gewohnheit mit Wut und Groll herausschreie, was ich viele Jahre für mich behalten habe: Ich spreche von Simon Marius aus Gunzenhausen. Dieser Kerl, der es offensichtlich gewohnt war, sich mit der Arbeit anderer zu schmücken, schämte sich nicht, meine “Botschaft von den neuen Sternen” zu missbrauchen, um seinen eigenen Ruhm durch meine Arbeit und meine Mühen zu vermehren. Behauptet er doch tollkühn, in seinem Werk “Mundus Jovialis”, er habe die Mediceischen Planeten, welche den Jupiter umkreisen, vor mir entdeckt...” SPRECHERIN Der große Galileo Galilei ist - auf gut deutsch - “angepisst”. Er lässt kein gutes Haar an jenem „Simon Marius aus Gunzenhaus“, von dem die Welt zuvor nicht viel gehört hat. SPRECHER Und von dem man - dank Galileis tatkräftiger Unterstützung - später noch viel weniger hören sollte. Im Klartext: Der Ruf dieses Simon Marius ist ruiniert. SPRECHERIN Doch sind die Vorwürfe gerechtfertigt? Ist dieser Marius tatsächlich nichts anderes als ein „dreister Plagiator“, der sich ein Stück vom Ruhm des großen Meisters abschneiden will? Ein unbedeutender Mann aus der fränkischen Provinz, auf den die Wissenschaftsgeschichte gut und gern hätte verzichten können? SPRECHER Es sollte fast drei Jahrhunderte dauern, bis diese Frage geklärt wurde - mit einem überraschenden Ergebnis. MUSIK On Tiptoe 00:37min ZITATOR Von Gunzenhausen in die Welt - oder: Talent sucht Patron SPRECHERIN Simon wird am 10. Januar 1573 geboren. In Gunzenhausen an der Altmühl. Das ist zwar nicht der Nabel der damaligen Welt. Sein Vater hat es dort aber durchaus zu etwas gebracht, ist gebildet, zeitweise Bürgermeister des kleinen Städtchens. SPRECHER Dennoch ist die Familie finanziell wohl eher mager ausgestattet: Simon hat noch zahlreiche Geschwister, die alle versorgt werden wollen. SPRECHERIN Um voran zu kommen, braucht der talentierte Junge daher einflussreiche Förderer, z.B. Georg Friedrich, seines Zeichens Markgraf des Fürstentums Brandenburg-Ansbach. Der Astronomiehistoriker Hans Gaab: 01-O-TON Gaab Gesangstalent „Und es gibt natürlich die Geschichte. Wobei das ist sehr fragwürdig, gehört wohl eher in den Bereich der Legenden, dass der Markgraf ihn singen gehört hat und der von dem Gesang so begeistert war, dass er ihn eben an die Fürstenschule in Heilsbronn aufgenommen hat. Diese Geschichte ist allerdings erst entstanden oder nachweisbar, hundert Jahre nach dem Tod von Marius und insofern ist ein sehr großes Fragezeichen zu setzen.“ SPRECHER Doch selbst wenn die Geschichte „Junges Talent singt sich nach oben“ nur gut erfunden ist. Entscheidend ist: Simon wird gefördert und an der Fürstenschule in Heilsbronn aufgenommen, einem Städtchen zwischen Nürnberg und Ansbach, wo damals der Bedarf an Beamten für den fürstlichen Stab ausgebildet wird. Simon muss Eindruck hinterlassen haben: 02-O-TON Gaab Weichenstellungen 2 [0:12:29] : „Man hat ihm ein eigenes Zimmer eingeräumt, weil man gemerkt hat, der ist sehr begabt, was Mathematik, Astronomie angeht, und hat ihm glatt Bücher verschafft und hat ihn da allein auch studieren lassen. Also der ist da gefördert worden in Heilsbronn, der war da privilegiert, - ist deswegen auch gelegentlich von Mitschülern angegriffen worden, war manchmal nicht so beliebt. Aber wie gesagt er ist da sehr stark gefördert worden. Und ihm standen auch einfache, keine komplizierten, aber einfache Instrumente zur Verfügung für astronomische Beobachtungen.“ MUSIK Now Getup 01:12min SPRECHERIN Schon früh macht Marius dann mit ersten Veröffentlichungen auf sich aufmerksam – beobachtet einen Kometen und erstellt astronomische Tafeln. SPRECHER Ein Empfehlungsschreiben des Markgrafen ebnet ihm schließlich den Weg hin zu einer weiteren wichtigen Station in seinem Leben: Marius bekommt einen Job in Prag, eine Assistentenstelle bei einem der erfahrensten Astronomen seiner Zeit: bei Tycho Brahe. Seines Zeichens Hofmathematiker des deutschen Kaisers Rudolf II. SPRECHERIN Berühmt ist Brahe vor allem für einen ganz besonderen “Datenschatz”: Umfangreiche Journale mit präzisen Planetenbeobachtungen. SPRECHER Brahe erstellte die erste Kartierung des Himmels mit brauchbarer Auflösung - eine Art „Wanderkarte“ auf der gleichsam nicht nur sechsspurige Autobahnen, die größten Seen und breitesten Flüsse verzeichnet sind, sondern auch Waldwege und Hasenpfade minutiös erfasst sind. SPRECHERIN Dieser „Schatz“ ist das Ergebnis mühsamer jahrelanger Himmelsbeobachtungen, mit bloßem Auge, ohne Teleskop. Hans Gaab: 03-O-TON Gaab Tycho „Was der Tycho Brache natürlich auch gebraucht hat, der hat Helfershelfer gebraucht, um Beobachtungen durchzuführen. Und da hat er natürlich auch immer haben wollen, dass möglichst begabte junge Leute zu ihm kommen und mindestens eine Zeit lang mitarbeiten. Und über diese Schiene ist man halt auch auf den Marius aufmerksam geworden und hat gesagt: Mensch, der soll mal kommen!“ SPRECHER Und so wird Marius Teil des Teams in Prag. Für ihn eine wichtige Lehrzeit. Persönlichen Kontakt zum Meister selbst hat er aber wohl keinen: Brahe ist damals bereits schwer erkrankt und stirbt kurz darauf im Oktober 1601. SPRECHERIN Auch einen anderen großen Kollegen hat Marius dort wahrscheinlich knapp verpasst: Johannes Kepler. Der steht damals ebenfalls in Brahes Diensten. MUSIK Ciaccona für Spinett 00:23min SPRECHER Einen Hauch „weite Welt“ schnuppert Marius im Anschluss dann noch in Padua - wohin der Graf seinen Schützling zum Medizin-Studium schickt. Bis er von dort abrupt zurück nach Ansbach gerufen wird: der inzwischen neu installierte Fürst Joachim Ernst braucht vermutlich Ersatz für seinen verstorbenen Hofastronomen in Ansbach. SPRECHERIN Marius kommt also aus der Provinz - und landet nach Umwegen auch wieder in der Provinz: Angestellt beim Ansbacher Markgrafen, wo er bis zu seinem Lebensende jährlich 150 Gulden erhält. SPRECHER Eine eher spärliche Besoldung, für den Job, den er dort erledigt: als Mathematiker, Astronom und Arzt - mit ganz praktischen Aufgaben: SPRECHERIN Die Mächtigen fordern Horoskope, um ihre Politik zu optimieren. SPRECHER Auch für den Aderlass und den Holzschlag muss der astrologisch korrekte Zeitpunkt ermittelt werden. SPRECHERIN Gefragt sind außerdem ganz praktische Methoden zur Landvermessung. Die ist von großer Bedeutung für das Steueraufkommen. Marius hat dazu u.a. eine deutsche Übersetzung eines mathematischen Standardwerkes von Euklid angefertigt: dessen „Elemente“. Auch deutsche Leser ohne Latein und Griechischkenntnisse haben so eine praktische Anleitung zur Hand, um auf freiem Feld Vermessungen durchzuführen. SPRECHER Und schließlich wollen auch Militärs wissen, wie sie ihre Kanonen optimieren und deren Zielgenauigkeiten verbessern können. Am Ansbacher Hof interessiert das vor allem einen gewissen „Johannes Philipp Fuchs von Bimbach“. Der lernt schnell Marius mathematische Fähigkeiten zu schätzen und wird zu einem seiner größten Förderer. - Der Wissenschaftshistoriker Pierre Leich: 04-O-TON Leich Fuchs von Bimbach „Dieser Fuchs von Bimbach war einer der höchsten Beamten am markgräflichen Hof und war insbesondere auch für die militärischen Aspekte verantwortlich. Es war auch jemand, der deswegen immer wieder auf Messen gegangen ist wie die Frankfurter Messe, um dort nach Neuheiten zu schauen. Und auf diesem Weg hat er damals auch Kenntnis von dem Teleskop erlangt, was ja erst 1608 in Den Haag bei einer Friedenskonferenz überhaupt erstmals vorgestellt wurde.“9 [0:12:53] SPRECHERIN Und diese damals brandheiße „Erfindung “ sollte sich für Marius noch als äußerst nützlich erweisen. MUSIK Shadows Of Voices 01:01min ZITATOR Die Welt des Jupiter - oder: Ein Himmel voller Geheimnisse SPRECHER Anfang des 17. Jahrhunderts präsentieren findige Forscher erstmals ein Fernrohr. Also ein optisches Instrument, das es mithilfe von Linsen möglich macht, entfernte Objekte um ein Vielfaches näher oder größer erscheinen zu lassen. Damals ein kleines Wunder – und der Traum eines jeden Astronomen, um den nächtlichen Himmel zu erkunden. SPRECHERIN Wer das Teleskop tatsächlich erfunden hat, darüber entbrennt schon damals ein reger Streit. Fest steht, dass Galilei es nicht erfunden hat, - es sich aber zunutze macht und weiterentwickelt. Und Johannes Kepler hat als erster tatsächlich umfassend verstanden und dargelegt, wie Teleskope eigentlich funktionieren. Er liefert die mathematisch-geometrischen Grundlagen. SPRECHER Fuchs von Bimbach stößt nun 1608 auf so ein neuartiges Fernrohr - und zwar bei der Frankfurter Messe. Damals eine der wichtigsten Drehscheiben des internationalen Fernhandels: 05-O-TON Leich - Das Teleskop “Und Fuchs von Bimbach wurde eben ein Instrument angeboten, das aber einen Sprung in der Linse hat und extrem teuer offenbar war. Es kam kein Kauf zustande, und dann hat man dann in Ansbach zurückgekehrt, natürlich versucht eins nachzubauen. Und da muss ich jetzt leider sagen - ich bin ja Nürnberger, - aber meine Vorderen haben es leider nicht hingekriegt, den beiden gut genuge Linsen zu liefern. Und deswegen mussten sie noch ein bisschen abwarten, um dann ein halbes Jahr später aus den Niederlanden ein fertiges Teleskop zu kaufen.“ SPRECHERIN Nicht nur Fuchs von Bimbach ist begeistert - auch Simon Marius: Da sein Gönner keine Kosten und Mühen scheut, kann er nun einen völlig neuen Blick auf den nächtlichen Himmel werfen. SPRECHER Wobei diese Fernrohre der ersten Stunde ihre Tücken haben: Ein ungeübter Beobachter kann zunächst vermutlich gar nichts sehen. Auch Marius muss zunächst die Stärken und Schwächen dieser Instrumente selbst erkunden. Doch Ende 1609, Anfang 1610 ist es dann soweit: ZITATOR Simon Marius „Damals habe ich den Jupiter zum ersten Mal gesehen. Er befand sich in Opposition zur Sonne. Und ich entdeckte winzige Sternchen in gerader Linie mal hinter, mal vor dem Jupiter. Zunächst dachte ich, jene gehörten zur Zahl der Fixsterne, die man ohne Teleskop eben nicht sehen kann... Als aber Jupiter rückläufig war und ich im Dezember erneut diese Sterne um ihn sah, habe ich mich doch zuerst sehr gewundert; um dann zu der Meinung zu gelangen, dass sich diese Sterne geradeso um den Jupiter bewegen wie die fünf Sonnenplaneten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn sich um die Sonne bewegen.“ MUSIK Shadows Of Voices 00:46min SPRECHERIN Die vier vermeintlichen „Sternchen“, die Marius da beobachten konnte, veränderten also ihre Stellung von Nacht zu Nacht. Sie mussten folglich „Begleiter“ des Jupiter sein, „Monde“, die ihn umkreisen. SPRECHER Doch Himmelskörper zu beobachten, die sich nicht primär um die Erde drehen, - das wirft damals noch grundlegende Fragen auf: Wer kreist da draußen um was? Wer steht im Mittelpunkt? Die Erde? Die Sonne? Welches Weltbild ist das richtige? SPRECHERIN Die vier Jupitermonde sind also eine astronomische Sensation – und Simon Marius hat sie entdeckt. SPRECHER Doch Moment mal. Kann das stimmen? SPRECHERIN Kann nicht - wird ein erboster Galileo Galilei sagen, als er Jahre später von seinem fränkischen Mitstreiter erfährt und ihn als dreisten Plagiator beschimpft - 1623 in seiner Schrift „Il Saggiatore“: MUSIK Dark Matter 00:15min ZITATOR Galileo („Il Saggiatore“, Firenze 1623) „Ich spreche von Simon Marius aus Gunzenhausen. Dieser Kerl, der es offensichtlich gewohnt war, sich mit der Arbeit anderer zu schmücken... Ich sage, er hat höchstwahrscheinlich überhaupt nichts beobachtet!“ SPRECHERIN Doch wie kommt Galileo nun zu seien wüsten Vorwürfen? SPRECHER Marius hat seine Beobachtungen am 8. Januar 1610 notiert. In Briefen und anderen kleinen Kalenderschriften diese Entdeckung dann zwar öfter erwähnt, aber erst viel später auch umfangreich publiziert: nach vielen weiteren Recherchen und Beobachtungen: 1614 in seinem Werk „Mundus Iovialis“ - „Die Welt des Jupiters“. Für Marius ging also Gründlichkeit vor Schnelligkeit. SPRECHERIN Ganz anders Galileo. Der hatte die Begleiter des Jupiter mit dem Teleskop einen Tag vor Marius, am 7. Januar 1610 beobachtet - und dann sofort noch im März 1610 publiziert. Im „Siderius Nuncius“, der „Sternenbotschaft“. SPRECHER Galileo dürfte ziemlich klar gewesen sein, dass bald überall in Europa Astronomen diese Monde mit dem Teleskop entdecken werden. In die Geschichtsbücher wird es aber nur derjenige schaffen, der über diesen Sensationsfund dann auch als erster publiziert. SPRECHERIN Klarer Punkt also für Galileo. MUSIK Midnight Call 00:43min SPRECHER Doch der Vorwurf geht ja noch weiter: dieser Marius aus Gunzenhausen hätte gar nichts entdeckt. Er hätte nur abgeschrieben. SPRECHERIN Belastend kommt hinzu, dass bereits ein Schüler von Marius bei Galileo abgekupfert hatte: er hatte dessen Arbeit über den geometrischen Kompass übersetzt und unter eigenem Namen veröffentlicht. Wie der Schüler, so der Lehrer, so die Unterstellung. SPRECHER Marius versucht zwar sich zu wehren, doch er hat schlicht keine Chance gegen das Renommee des „Übervaters“ Galileo anzukommen. SPRECHERIN Sein Ruf ist ruiniert - für die nächste drei Jahrhunderte. 06-O-TON Leich Rehabilitation „Und erst zum Jahr 1900 hat die königlich-niederländische Akademie der Wissenschaften eine Preisschrift ausgeworfen mit der Frage, ob Marius denn die Entdeckung von Galilei nur abgeschrieben habe. Und erst im Rahmen dieser Untersuchungen kann man sagen, ist Marius rehabilitiert worden. Weil man, bei den Daten von Marius halt oftmals feststellt, dass sie näher an den modernen rückgerechneten Werten sind.“ SPRECHER Im Klartext: Marius´ Daten, speziell zu den Umlaufzeiten der Monde, übertreffen Galileis Daten deutlich an Präzision, - wie moderne Berechnungen zeigen. SPRECHERIN Eine derartige Präzision lässt sich aber kaum durch simples „Abschreiben“ erzielen. Sie kann nur das Ergebnis selbständiger Arbeit sein. SPRECHER Offiziell war Simon Marius damit also rehabilitiert. MUSIK Playful Pizzicatos 00:50min ZITATOR Stille Helden – oder: Jenseits der Galionsfiguren SPRECHERIN Simon Marius hat sich mit weit mehr beschäftigt, als nur den großen Jupitermonden. Er beobachtet, wie einige andere in dieser Zeit die Sonnenflecken. Sieht 1612 als erster Europäer den Andromedanebel mit dem Teleskop, verfolgt 1618 den dritten und großen der drei Kometen dieses Jahres - usw. SPRECHER Doch wie steht er am Ende zur zentralen Frage: Wer dreht sich um wen? Die Erde um die Sonne, oder die Sonne um die Erde? Welche Schlüsse zieht er aus den wichtigsten astronomischen Entdeckungen des frühen 17. Jahrhunderts, mit denen er natürlich vertraut war? SPRECHERIN Kepler und Galileo kämpfen ihr Leben lang für das kopernikanische Weltbild, mit der Sonne als Mittelpunkt. Nicht so Marius. Er löst sich zwar vom alten ptolemäischen System, mit der Erde als Nabel der Welt. Vertritt letztlich aber eine Mittelposition - wie schon Tycho Brahe vor ihm. Auch wenn Marius betont, darauf unabhängig gestoßen zu sein. MUSIK Playful Pizzicatos 00:41min SPRECHER Die Erde bleibt dabei zwar das Zentrum der Welt: Die Erde wird vom Mond umkreist, und die Erde wird von der Sonne umkreist. Doch alle anderen Planeten umkreisen bereits die Sonne. SPRECHERIN Ein aus heutiger Sicht seltsam anmutendes Kompromissmodell, das man schnell belächelt. Schließlich wissen wir es heute besser. SPRECHER Natürlich gibt es auch um 1610 bereits sehr gute Argumente für ein System mit der Sonne als Mittelpunkt. Doch auf einige Fragen hatte man damals ehrlicherweise noch keine Antworten. Da war u.a. das „Sahnetortenproblem“. 07-O-TON Leich Das tychonische Weltbild „Wenn die Erde tatsächlich sich um die Sonne dreht, dann müsste das ja mit großer Geschwindigkeit gehen. Wir wissen heute das sind hunderttausend km/h, dann müssten unsere Wolken enorme Stürme aufweisen. Selbst an Kometen sehen wir einen Schweif oder zwei Schweife. Das wäre bei uns auch zu erwarten. Und der Umlauf der Erde um die Sonne liefert ja nur das Jahr. Die Erde muss sich die ganze Zeit auch noch drehen. Müsste nicht ein fallender Körper hinter der Erddrehung zurückbleiben? Und überhaupt, wenn die ganze Erde sich dreht, die Erde müsste wie eine Sahnetorte auf der Zentrifuge auseinanderfliegen. Alles Phänomene, die keiner beobachtet hat. Und da waren die Kopernikaner in Erklärungsnotstand.“ MUSIK ANTICIPATING THE END 00:47min SPRECHER Natürlich wurden diese Probleme alle noch gelöst – aber eben erst einige Jahrzehnte später u.a. durch Leute wie Isaac Newton und seine „Newtonschen Gesetze“: Trägheitsgesetz, Aktionsprinzip, Wechselwirkungsprinzip usw. MUSIK Ronde. Ausgeführt mit Laute SPRECHERIN Simon Marius stirbt am 26. Dezember 1624 - nach kurzer Krankheit in Ansbach. Mitten im Dreißigjährigen Krieg, einer düsteren Zeit, in der Hungernöte und Seuchen ganze Landstriche verwüsten und entvölkern. SPRECHER Fast sämtliche seiner Handschriften und Briefe gehen damals verloren. Dokumente, die heute helfen könnten, ein viel schärferes Bild von ihm zu zeichnen. SPRECHERIN Was also bleibt am Ende von Simon Marius? SPRECHER Fest steht: der Schatten – ja man möchte fast sagen: der „Fluch des des Galilei“ verfolgt ihn bis heute - der Wissenschaftshistoriker Pierre Leich: 08-O-TON Leich - Ruf ruiniert 24 [1:36:41] : „Und wenn Sie jetzt heute in einer ganz anderen Ecke der Welt den Namen aufbringen und überhaupt ein Wissenschaftler ihn kennt, würde er wahrscheinlich sagen: war das nicht der, der von Galilei abgeschrieben hat, habe ich mal so gelesen. Weil so steht es in ganz vielen Büchern noch drinnen. Und auch wenn 1900 sozusagen die Rehabilitation war, das ist dann für die große Geschichte der Wissenschaft doch zu wenig Zeit, als dass ich das durchsetzen würde. Denn immer wieder werden wir bombardiert mit den Helden und da wird man so schnell nichts ausrichten können.“ MUSIK Ronde. Ausgeführt mit Laute 00:50min SPRECHER In die „Champions League“ der Astronomen hat es Marius also letztlich nicht geschafft. Er passt nicht so recht zu einer Geschichtsschreibung, die dazu neigt, Heroen und Überväter auf einen Sockel zu hieven. SPRECHERIN Doch auch Galionsfiguren wie Brahe, Galilei und Kepler haben nicht alles allein erledigt: sie hatten Mitarbeiter und Kollegen. SPRECHER Es gab und gibt also auch viele „stille Helden“, die vieles gleichzeitig entdeckt haben, aber weniger laut sind, und dadurch meist in Vergessenheit geraten sind. SPRECHERIN Weil sie nicht das passende Netzwerk hatten, um sich um sich in Szene zu setzen, und zu vermarkten. Weil ihnen Geld und Sponsoren fehlten, um schnell zu publizieren – oder weil sie einfach Pech hatten. MUSIK Accordion Sphere B 01:05min 09-O-TON Leich - Kristallisationspunkte „Wenn man genauer hinschaut und das Ganze vergrößert. Es ist genauso wie am Nachthimmel auch: erst sieht man nur die großen dicken Sterne, dann werden es immer mehr Sterne. Da gibt es überall ein Netzwerk von Wissenschaftlern, die Beobachtungen vielleicht Experimente austauschen, die Konsequenzen diskutieren, die Folgerungen ableiten und dann Theorien entwickeln, die andere dann wieder angreifen oder stützen können. Und es ist eigentlich ein Netzwerk in der Wissenschaft. Und ab und zu gibt es dann halt Kristallisationspunkte, die dann ein bisschen herausleuchten. Aber auf dieser zweiten Ebene sieht man natürlich mehr.“ SPRECHERIN Mit anderen Worten: Nicht nur in der Geschichte der Astronomie lohnt es sich, den Blick zu weiten. SPRECHER Denn auch Spieler und Spielerinnen in „der zweiten Liga“ leisten oft großes. Simon Marius ist dafür ein gutes Beispiel.…
r
radioWissen


Ob als soziale Gruppe oder Einzelgänger - Pottwale sind hochentwickelte Meeressäuger, lauter als jedes andere Tier im Ozean, sie tauchen schnell und tief, waren bei früheren Walfängern die kostbarste und beliebteste Spezies. Von Mechthild Müser (BR 2020)
r
radioWissen


1 Programm-Ansagerinnen - Fernsehgesichter der ersten Stunde 23:49
23:49
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:49
Sie wurden als "sprechende Visitenkarte" bezeichnet oder auch als "Gastgeberin": Seit den Anfängen des Fernsehens stellten Programm-Ansagerinnen zu einen den Bogen her zwischen unterschiedlichen Programminhalten und überbrückten zum anderen die zu Beginn des Fernsehens oft noch minutenlangen Umschaltzeiten. Von Carola Zinner (BR 2024) Credits Autorin dieser Folge: Carola Zinner Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Irina Wanka, Jenny Güzel, Jerzy May Technik: Regina Staerke Redaktion: Iska Schreglmann Im Interview: Carolin Reiber, ehem. Ansagerin; Sylvia Brécko, Kabarettistin, ehem. Ansagerin, Autorin der Magisterarbeit „Die Entwicklung der Fernsehansage im Verhältnis zum Programmschema“ Diese hörenswerten Folgen könnten Sie auch interessieren: Alles Geschichte - History von radioWissen · DAS FRÜHE RADIO - Die Anfänge in Deutschland JETZT ANHÖREN Alles Geschichte - History von radioWissen · DAS FRÜHE RADIO - Werbung, Propaganda, Aufklärung JETZT ANHÖREN Alles Geschichte - History von radioWissen · WIE WAR DAS DAMALS...? Als das Radio in die Welt kam? JETZT ANHÖREN radioWissen · Die Geschichte des Fernsehens - Von zwei Stunden in schwarz-weiß bis zu digital nonstop JETZT ANHÖREN radioWissen · Radio Caroline - Der vorbildliche Piratensender JETZT ANHÖREN Linktipps: Am 25. Januar 1949 wurde der Bayerische Rundfunk gegründet. Seitdem ist viel passiert. Ein bunter Ritt durch 75 Jahre Programm für Bayern: ZUR JUBILÄUMS-WEBSITE Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Musik: Busy Busy 0‘7 ZUSPIELUNG 1 Collage „Guten Abend, meine Damen und Herren...- verehrte Zuschauer!“ ERZÄHLERIN Seit Beginn des Fernsehens gab es Ansagerinnen, die durch das Programm führten. Galt beim Radio anfangs noch der Grundsatz, männliche Stimmen seien seriöser und daher zu bevorzugen, drehte sich, als das Bild zum Ton kam, das Verhältnis um. Gutaussehende Frauen wurden zum „Gesicht des Senders“, seine „sprechende Visitenkarte“. ZUSPIELUNG 2 Brécko Die allererste Fernsehansage gab es tatsächlich schon im März 1935 von der Ansagerin Ursula Patzschke-Beutel - die hat dann gleichzeitig auch den Hitlergruß mit versendet - ZITATORIN „Achtung, Achtung! Fernsehsender Paul Nipkow. Wir begrüßen alle Volksgenossen und Volksgenossinnen in den Fernsehstuben Großberlins mit dem deutschen Gruß Heil Hitler! ZUSPIELUNG 3 Brécko Und im Dezember 1952 dann der offizielle Fernsehstart mit Ansagerin Irene Koss. ERZÄHLERIN Die Schauspielerin und Kabarettistin Sylvia Brécko hat nicht nur selbst beim WDR als Ansagerin gearbeitet, sie verfasste auch mit ihrer Magisterarbeit über die Entwicklung der Fernsehansage eine der wenigen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema. ZUSPIELUNG 4 Brécko Anfangs dienten die Fernsehansagen dazu, die technisch notwendigen Umschaltzeiten zwischen den verschiedenen Sendern und auch Sendungen zu überbrücken. Außerdem war sie Bindeglied zwischen dem Sender und am Zuschauer, sollte informieren und Geschmack machen auf das folgende Programm. Und sie sollte eine harmonische Überleitung bieten, was besonders wichtig war bei aufeinanderfolgenden gegensätzlichen Sendeformaten. Direkt dran ZUSPIELUNG 5 C. Reiber So dass der Zuschauer sagte, ach, das müssen wir uns anschauen. Und, sicher, der Auftritt war auch nicht unwichtig. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 6 „Bevor wir beginnen, ein kurzer Blick auf das, was wir Ihnen heute Abend bieten.“ (All diese eingestreuten Ansagen können als PUFFER dienen) ZUSPIELUNG 7 C. Reiber Wie sieht die aus, was trägt sie für eine Frisur? Was hat sie heute an? Das war schon alles wichtig, und das wussten wir auch. Und das war ja auch schön. ERZÄHLERIN Die Moderatorin Carolin Reiber, Jahrgang 1940, begann ihre Fernseh-Karriere als Ansagerin beim Bayerischen Rundfunk. Angefangen hatte alles mit einem munteren Interview Ende der 1950er Jahre, in dem die hübsche junge Frau von einem Aufenthalt in den USA erzählte. ZUSPIELUNG 8 C. Reiber Daraufhin meinte der damalige Leiter der Abendschau, Heinz Böhmler, ach, die wäre doch was. Und der ging zu meinen Eltern - ich sehe ihn noch im Wohnzimmer - und fragte meine Eltern, ob sie es erlauben würden, wenn ich Ansagerin werden würde. Wir sind ja mit 21 erst volljährig geworden! Und meine Eltern meinten, naja, wenn sie ´s kann, warum nicht. ERZÄHLERIN Schließlich steht zu dieser Zeit „Ansagerin“ neben „Stewardess“ ganz oben auf der Liste weiblicher Traumberufe. Doch die Umsetzung dieses Wunsches gelingt nur den wenigsten, auch weil die Eltern für solche „Flausen“ ihrer Töchter meist wenig Verständnis haben. Als „vernünftige“ weibliche Berufe gelten in Westdeutschland Sekretärin, Verkäuferin oder Krankenschwester, eine Anstellung in den Büros von Ämtern, der Post oder der Bahn. Und für so genannte „Bücherwürmer“ kommt auch das Lehramt in Frage – was allerdings noch bis Mitte der 1950er Jahre zur Sackgasse werden kann, weil in vielen Bundesländern die Frauen aufgrund des so genannten Lehrerinnenzölibats verpflichtet sind, bei einer Eheschließung, den Dienst zu quittieren. MUSIK: Rumba Anna 0‘28 Anmutung 50er Jahre ERZÄHLERIN Nach den Kriegsjahren, in denen Frauen häufig in harten Knochenjobs die fehlenden Männer hatten ersetzen müssen, gilt es im Westdeutschland der 50er und 60er Jahre als Privileg, als Ehefrau nicht zur Arbeit gehen zu müssen, sondern sich mit aller Kraft um einen geordneten Haushalt und das Wohlergehen von Mann und Kindern kümmern zu können. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 9 Ansage b Das Programm des Deutschen Fernsehens kommt heute vom Südwestfunk. Dazu begrüßen wir auch die Zuschauer des Österreichischen Fernsehens. ERZÄHLERIN Auch die Fernsehansagerinnen passen in gewisser Weise ins Schema der 50er und 60er. Schließlich ist es ihre Aufgabe, den attraktiven Rahmen zu bilden für die „gewichtigen“ Programminhalte, die fast ausschließlich von Männern erstellt werden. Ansagerinnen machen es dem Publikum quasi in der „Guten Stube“ Fernsehen schon mal gemütlich, bevor man zum wichtigen Teil des Abends kommt. Es ist eine Rolle, die ihnen beim Publikum enorme Popularität einbringt. ZUSPIELUNG 10 (Brécko) In den 50ern waren sie regelrechte Stars. Alles, was die ersten Fernsehansagerinnen Irene Koss, Ursula von Manescul, Dagmar Bergmeister sagten, trugen und taten, war der Presse eine Schlagzeile wert. Sie waren die Gesichter des jeweiligen Senders. ZUSPIELUNG 11 (Reiber) Das war so, dass die Leute oft, was ich sehr lustig fand, wenn ich zu meinem Friseur ging, hat er mal wieder… es kam wieder eine Kundin mit einem Bild von Ihnen „Ich möchte die Frisur haben!“ Aber das war ja ein Kompliment. Das war ja schön, wenn jemand sagt, ah, ich möchte genauso eine Frisur haben wie sie. ERZÄHLERIN Die hohen Gehälter allerdings, die man den Fernsehansagerinnen angesichts ihrer Prominenz oft unterstellt, existieren nur in der Vorstellung des Publikums. Carolin Reiber: ZUSPIELUNG 12 (Reiber) Wir hatten ja alle einen Beruf noch nebenbei. Ja, ich war ja Auslandskorrespondentin dann, und die anderen waren Schauspieler, die Anneliese Fleyenschmidt war mit dem Schreiben beschäftigt - also wir hatten alle unseren Nebenjob noch. Keine konnte davon leben. ZUSPIELUNG 13 (von Aretin/ Kappelsberger/ Fleyenschmidt) Dann kamen Briefe, gell: Was soll ich meine Tochter studieren lassen? - also um Ratschläge - Ja, wir waren ja in der Familie drin / Was hat denn die für eine Frisur – tät uns auch gefallen, oder gefällt uns überhaupt nicht… / Ich hab wahnsinnig viel Anrufe, Briefe gekriegt, das ging also an, ich hab meinen Schäferhund verloren, meine Tochter will Abitur machen, ich hab Schwierigkeiten in der Ehe, ich krieg keine Wohnung: ich hatte das Gefühl, du wirst ein bisschen wie ein Sozialbüro auch – zu der haben wir Vertrauen, die gehört zu uns, die kennt ja viele Leute, die ist ja in der Öffentlichkeit, und die kann mir helfen. ERZÄHLERIN Annette von Aretin, Anneliese Fleyenschmidt und Ruth Kappelsberger: Pionierinnen der Fernsehansage beim Bayerischen Rundfunk. Musik: Wo rote Rosen blüh’n 0‘42 Bei einem Treffen im Sommer 1992 schwelgten die drei in Erinnerungen an die aufregenden Anfangsjahre. Die drei waren bei einem Auswahlverfahren, das damals noch im Versuchsstudio in einem Münchner Blindenheim stattfand, aus hunderten von Bewerberinnen herausgefiltert worden, als der Sender 1954, knapp zwei Jahre nach dem bundesweiten Start des deutschen Fernsehens, ein eigenes Fernsehprogramm entwickelte. Am 6. November 1954 war es dann so weit: Annette von Aretin kündigte die erste Fernsehsendung aus Bayern an. ZUSPIELUNG 14 (Von Aretin – Start des BR-Fernsehens in der ARD) „Guten Abend, verehrte Zuschauer. Gestern konnten unsere Zuschauer uns zum ersten Mal sehen. Und heut dürfen wir uns Ihnen vorstellen: Der Bayerische Rundfunk im Deutschen Fernsehen. Von jetzt ab werden wir im Bereich des Senders Wendelstein unsere Münchner Abendschau täglich um 19 Uhr bringen und im Deutschen Fernsehen, also im Gemeinschaftsprogramm der Deutschen Rundfunkanstalten zwischen 20 und 22 Uhr, werden wir 5 oder 6mal in jedem Monat zu sehen sein. An den übrigen Tagen wird das Programm von den Studios in Hamburg, Köln, Berlin, Frankfurt, Stuttgart und Baden-Baden bestritten. Wir begrüßen unsere Zuschauer von den Alpen bis zur Nordsee auf das herzlichste und ebenso unsere Kollegen auf den anderen Stationen. Und wir hoffen, dass Ihnen unser Programm gefällt! ZUSPIELUNG 15 (Aretin, 1992) Evtl. Diese Zuspielung in die Mitte der obigen Ansage setzen, nach „Deutschen Fernsehens“, anschließend dann mit der Ansage weiter bis „Programm gefällt“). Und, bitte, den kleinen (Fremd-) Schnaufer unter „panisch“ nach Möglichkeit rausfiltern. Ich war panisch. Und hab das Ganze eigentlich wie in Narkose abgewickelt. Und es hat kein Wort gefehlt, also es ging, nur diese Angst hab´ ich nie mehr verloren beim Ansagen. ERZÄHLERIN Vielleicht liegt es an diesem permanenten Lampenfieber, dass die gelernte Fotografin, die bereits seit Ende der 40er Jahre in den verschiedensten Bereichen für den Bayerischen Rundfunk arbeitet, nach einigen Jahren als erste der drei Kolleginnen wieder aus der Ansage aussteigt – Annette von Artin leitet fortan das Besetzungsbüro des Hauses. Der Promi-Status beim Publikum bleibt ihr trotzdem erhalten, ist „unsere Annette“ doch festes Mitglied im Rateteam der deutschlandweit beliebtesten Fernsehsendung des Bayerischen Rundfunks. ZUSPIELUNG 16 Thema „Was bin ich“ 0‘33 ERZÄHLERIN „Was bin ich“ – DER Quotenrenner aus Bayern mit einer Einschaltquote von bis zu 75 Prozent. Das Team muss die Berufe wechselnder Studiogäste erraten, die auf Fragen ausschließlich mit „Ja“ oder „Nein“ antworten dürfen – wobei sie vom „Gastgeber“ Robert Lembke ebenso humorvoll und intelligent begleitet werden MUSIK falls lang genug, nochmal hoch ZUSPIELUNG 17 (Reiber) Es war sozusagen das Highlight des Bayerischen Rundfunks. Da die ganze Nation zugeschaut.- Ich mein, mit Robert Lembke….! ERZÄHLERIN Carolin Reiber erinnert sich noch genau an die große Aufmerksamkeit des Publikums für die Ansagen vor Straßenfegern wie „Was bin ich“. Sprache, Kleidung, Haare: alle wurde genauestens registriert – und oft auch kommentiert. ZUSPIELUNG 18 (Reiber) Die Kleider waren schon ein Problem: Es war ja erst mal alles Schwarz-Weiß. Und dann hatten wir einen Spind, ich hatte einen Schrank, da hing etwas in Tracht, etwas für Trauer und etwas für Sport. Denn das Programm hat ja oft gewechselt. Und dann mussten wir schnell umdisponieren. Und dann hat mir eine Zuschauerin geschrieben, also Frau Reiber, die Sendung war ja ganz gut, aber ihre Bluse war ganz schön verknittert. Die war nicht gut gebügelt! ZUSPIELUNG 19 (Fleyenschmidt) Wir konnten einen Pullover auf drei verschiedene Arten tragen. Denn konntest Du einmal linksrum, einmal rechtsrum, einmal mit nem Blüschen drunter, einmal mit ner Brosche hin, und dann sagten Leute: Die hat jeden Tag was anderes an. ERZÄHLERIN So Anneliese Fleyenschmidt. In welchem Outfit die Ansagerinnen auf dem Bildschirm erscheinen, interessiert auch die Kolleginnen brennend, die in den anderen Sendeanstalten auf die nächste Schalte warten. Dezent soll die Kleidung sein, gepflegt und ein bisschen vornehm – wenn man da nicht gerade ein Dirndl trägt wie etwa Carolin Reiber vom Bayerischen Rundfunk gelegentlich, kann es leicht mal zu Überschneidungen kommen. ZUSPIELUNG 20 (Reiber) An einem Abend, das wird ich nie vergessen: München mit der tollsten Ansage für „Was bin ich?“, dann WDR Claudia Dorn, dann…: viermal, und wir hatten alle das Gleiche an: einen beigen Twinset mit einer Perlenkette. Das war ein Halleluja! Das Gleiche passierte dann auch natürlich mit den Frisuren. Da kam die Zeit der Perücken, die Zeit der großen Haarteile. Und ich kann mich noch erinnern, da hatten wir dann mal einen Kommentar: Jetzt wächst die Frisur aus dem Bildschirm! ZUSPIELUNG 21 (Fleyenschmidt, Kappelsberger) Die Leute waren auf das Fernsehen wirklich wild. Die drehten um 5 Uhr den Knopf auf und blieben bis 10 dran. Drum hab ich immer gesagt: Die kommen an unserem Kopf gar nicht vorbei. Die drehten auf und dann waren wir da. Aber auf der anderen Seite war man ewig auf dem Präsentierteller – also ich habe meinen ersten Schock gekriegt, ich hab meinen Wagen abends in die Werkstatt gefahren zur Inspektion – und da war die Putzfrau da und schaut – Grüß Gott – Grüß Gott – sind Sie die vom Fernsehen? – Ja… - Nu, auf dem Bildschirm sind se aber auch scheener! ERZÄHLERIN Weil das Fernsehen in den Anfangsjahren ausschließlich schwarz-weiß ausgestrahlt wird, müssen Anneliese Fleyenschmidt, Ruth Kappelsberger und Annette von Aretin immer wieder für maskenbildnerische Experimente herhalten. Denn in Schwarzweiß wirkt beispielsweise ein roter Lippenstift nicht unbedingt rot. Aber ein blauer vielleicht…? ZUSPIELUNG 22 (v. Aretin, Fleyenschmidt) Da sind wir mit blauen Lippen – da hieß es, roter Lippenstift wirkt schwarz – mit hellblauen Lippen haben wir lieblich gesäuselt. / Wenn wir die allererste Zeit nehmen, da waren nur Experimente; da hat der Kameramann experimentiert, der Redakteur hat experimentiert, wir haben experimentiert, das Licht hat experimentiert – wir waren eigentlich selig, wenn wir auf dem Schirm waren und nicht gewackelt haben. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 23 Ansage e „Im Telezoo… “ ZITATOR 31. Sitzung des Fernseh-Ausschusses des Rundfunkrates des Bayerischen Rundfunks. Behandelte Tagesordnung: Das Problem der Ansage - Gespräch mit den Ansagerinnen - Reportage der Münchner Abendschau über das Eheseminar in Landau Das Aufzeichnungsverfahren (Kursives verschwindet in Blende) ERZÄHLERIN Das Protokoll einer Sitzung vom 19. Dezember des Jahres 1955: sechs Herren und eine Dame vom Rundfunkrat und vom Sender beratschlagen, wie es mit der Fernsehansage weitergehen soll. Dafür sind Gäste geladen. ZITATOR „Der Vorsitzende begrüßt die Damen von Aretin, Fleyen-Schmidt und Kappelsberger, mit denen man sich heute einmal gemeinsam über das Problem der Ansage unterhalten wolle. ERZÄHLERIN So richtig begeistert scheinen die Sitzungsteilnehmer von den Ansagen nicht zu sein; Fernsehen gilt im Gegensetz zu Radio immer noch als leicht unseriös. Und Damen, so prominent im Programm? ZITATOR Pfarrer Hildmann wirft zunächst die Frage auf, wozu überhaupt eine sichtbare Ansage gebraucht werde. () Ob nicht die Sendungen selbst so stark sein sollten, dass sie den Kontakt schaffen?“ ZUSPIELUNG 24 Werbespot zur Rundfunkgebühr mit Ruth Kappelsberger „Verehrte Zuschauer… und Sie kriegen bestimmt ganz was Schönes!“ Musik: Busy Busy 0‘5 ZITATOR Die Damen von Aretin, Fleyen-Schmidt und Kappelsberger berichten aus der Praxis ihrer Ansagetätigkeit. Selbstverständlich können sie zu den Sendungen keine persönliche Meinung äußern, doch seien ihnen kleine Änderungen im Text der Ansage gestattet. Herr Märker bezweifelt, dass die Erscheinung der Ansagerin den persönlichen Kontakt stärke. Andererseits wäre eine Ansage ohne persönliche Erscheinung der Ansagerin auch nicht das rechte; doch solle das Bild der Ansagerin auf dem Schirm zwischen Großaufnahme und Aufnahme aus der Entfernung wechseln. Dr. Münster erklärt die derzeitigen Großaufnahmen der Ansagerin mit den Raumschwierigkeiten: im Studio II könne man durch die Beengtheit des Raumes die Distanz für ein ¾ Bild eigentlich nicht gewinnen. ZUSPIELUNG 25 (Aretin, Fleyenschmidt) Wir saßen in einem wirklich 12-Quadratmeter-Raum, hier saß der mit den Nachrichten, der immer Dienst gehabt hat, da saß die Ansagerin, und da saß jeweils der berühmte Gast. Und wenn man nicht dran war, ist man unter der Kamera rausgeschlichen, ganz leise, ist in den Regieraum – ist es in Ordnung so? Also es war wirklich eine lustige Akrobatik. / Wir waren in dem Studio, das war eine Baracke und es war sehr heiß, und es war Sommer. Und oben auf der Baracke stand die Sonne, und wir hatten wahnsinnig starke Lichter, und die Lichter waren noch viel heißer als heute, man schwitzte also. Und wir waren die „Damen ohne Unterleib“, ja, man saß also da und redete. Und einer der Kameraleute, der sah, dass mir so warm war, und brachte also eine solche Schüssel mit kaltem Wasser. Ich hatte also keine Strümpfe an, ich hab also die Füße ins kalte Wasser, hab oben ganz fein weitergeredet. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 26 Ansage Konsalik-Roman – Der folgende Film…. wünschen Ihnen viel Vergnügen 0´13 ERZÄHLERIN Mit Beginn des Farbfernsehens 1967 beginnt ein neues Kapitel - mit neuen Experimenten. Die spätere Ansagerin Silvia Brécko preist sich glücklich, damals nicht schon dabei gewesen zu sein. ZUSPIELUNG 27 (Brécko) Denn da konnte deine Gesichtsfarbe sich während einer Ansage ohne weiteres mehrmals von aschfahl über grünlich-gelb nach knallrot ändern. Durch die technische Übertragung der Farbsignale in den drei Grundfarben kam es nämlich anfangs zu ständigen Farbschwankungen auf dem Bildschirm. Das Farbfernsehen steckte halt noch in den Kinderschuhen. ERZÄHLERIN Allerdings steht auch nur in wenigen Haushalten schon einer der teuren Farbfernseher. Doch egal ob schwarzweiß oder bunt: auch in den wilden 70er Jahren gilt für Fernsehansagerinnen, insbesondere für die der ARD: ja nicht zu viel Sexappeal! Auch Moderatorinnen wie Carolin Reiber oder Petra Schürmann, die ehemalige Miss World, dürfen zwar im Regionalprogramm durchaus mal Bein zeigen. Als ARD-Ansagerinnen aber sind und bleiben sie die „Damen ohne Unterleib“. ZUSPIELUNG 28 (Brécko) Das ZDF setzte nicht zuletzt durch den größeren Unterhaltungsanteil in seinen Programminhalten schon früher darauf, auch mal Totalen zu zeigen. Und die Privatsender sind natürlich gleich in die Vollen gegangen, mit Dekolleté, Kurven und langen Beinen. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 29 Ansage Zur „Hallo-Elvis-Party erwarten Sie…. Gute Unterhaltung!“ Musik: You dirt rat 0‘31 ERZÄHLERIN Bereits ein Jahrzehnt, bevor ab 1984 die Privatsender mit ihrem – oft deutlich schrilleren Programm - den deutschen Fernsehmarkt eroberten, bemühten sich die Öffentlich-Rechtlichen um einen merklich lockereren Ton. Das galt auch für die Ansagen: die Texte stammten zunehmend nicht mehr aus den Redaktionen, sondern wurden von den Ansagerinnen selbst verfasst – und von den Ansagern, denn zum festen Team der Fernsehsender gehörten nun auch Männer, die bisher nur in „Ernstfällen“ wie etwa dem Tod hochrangiger Politiker oder aber im Radio zum Einsatz gekommen waren. Auch sonst wurden die Übergänge fließender, und die vertrauten Fernsehgesichter tauchten immer öfter außerhalb des gewohnten Studioumfelds auf: die gelernte Schauspielerin Ruth Kappelsberger etwa spielte häufig in kleinen Heimatfilmen mit, während die kurzhaarige blonde Hanni Vanhaiden vom NDR – Markenzeichen dicke Brille – eine Kindersendung moderierte und sich als Schlagersängerin versuchte. Musik: Vanhaiden „Ich bin die Mieze vom 1. Kanal“ 0‘15 (nach Wahl, rechtzeitig über Programmaustausch bestellen). Den Vanhaiden-Song „Ich bin die Mieze vom 1. Kanal“ finde ich nur auf Youtube, von wo man ihn im Rahmen der Produktion bitte runterziehen müsste) ERZÄHLERIN Und Carolin Reiber macht deutschlandweit Fernseh-Karriere. Dabei hatte sie doch in ihrer Anfangszeit als Ansagerin für ihr rollend-bayerisches „r“ oft heftige Kritik einstecken müssen. ZUSPIELUNG 30 (Reiber) Also zunächst haben sich vor allem die Hessen darüber beklagt, was die Münchnerin da für ein „r“ spricht. Aber: ich bekam es in den Griff, und nach einiger Zeit konnte ich nach Wunsch rollen oder nicht. ERZÄHLERIN Und mit der ZDF-Sendung „Lustige Musikanten“, die sie ab 1978 moderiert wird das bayerische „R“ ohnehin zu ihrem ganz besonderen Markenzeichen. Musik: Prize winner 1 0‘10 AKZENT Wiederkehrendes Signal / eine Art Kennung für „Ansage“ ZUSPIELUNG 31 Ansage a: Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserem Abendprogramm im Ersten! ERZÄHLERIN Nach der Einführung der Privatsender, in denen Ansagen schon bald von Programmtrailer und Spots ersetzt wurden, ging auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern die Ära der Programmansagen langsam zu Ende. Leider, sagt Sylvia Brécko, die heute erfolgreich als Kabarettistin arbeitet. ZUSPIELUNG 32 (Brécko) Weil die Fernsehansage zur Sender-Kennung beitrug. Gesichter, die man konkret mit einem Fernsehsender verbindet. Menschen, zu denen der Zuschauer eine Verbindung aufbaut. Außerdem hatte die Fernsehansage Tradition. Sie war von der ersten Fernsehstunde an dabei, und Traditionen zu pflegen schadet oft nicht. Musik: The Bat Swing (A) 0‘40 ERZÄHLERIN Das letzte Ansage-Wort bei den Öffentlich-Rechtlichen, sieht man einmal vom Kultursender Arte und von ARD alpha ab, wo man gelegentlich noch heute auf diese Art der Programmpräsentation zurückgreift, gehörte – Zufall oder nicht – einem Mann. Mit der Präsentation des Silvesterprogramms 2004 durch Dénes Törzs vom NDR ging die Ära der Fernsehansage zu Ende.…
r
radioWissen


1 Kristall, Monokel, Gleitsicht - Die Geschichte der Brille 22:51
22:51
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad22:51
Von Kaiser Neros grünem Smaragd, den er sich bei Gladiatorenkämpfen vor die Augen hielt, über den Lesestein der mittelalterlichen Mönche bis hin zu computergeschliffenen Gleitsicht-Gläsern, von der Sehhilfe zum Mode-Accessoire: Die Geschichte der Brille erzählt über Jahrtausende hinweg vom Wandel der Gesellschaft. Von Florian Kummert Credits Autor dieser Folge: Florian Kummert Regie: Martin Trauner Es sprachen: Susanne Schroeder, Sebastian Fischer Technik: Andreas Lucke Redaktion: Iska Schreglmann Im Interview: Dr. Florian Breitsameter, Kurator für Medizintechnik, Deutsches Museum München Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren: Die unsichtbare Brille - Wie Glaubenssätze unser Leben lenken JETZT ENTDECKEN Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Literatur: Herbert Schwind: Brillengeschichten – grandios und kurios: Eine Zeitreise (Wagner Verlag, 2015) Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ERZÄHLERIN Die Geschichte der Brille, sie beginnt mit einem Verrückten: dem römischen Kaiser Nero. Berühmt-berüchtigt dafür, dass er Rom anzünden ließ, und dazu die Leier spielte. Tolle Geschichte - aber eine, die eher ins Reich der Legenden gehört. SOUND Ende ERZÄHLERIN Genauso wie die Idee zu Neros Brille. evtl. MUSIK Hans Zimmer GLADIATOR ERZÄHLERIN Der Kaiser - so schreibt Plinius der Ältere - sah leidenschaftlich gerne Gladiatorenkämpfe (SOUND Schwerterkampf), auch an sommerlichen Tagen, wenn der Sand im Kolosseum hell erstrahlte. Und eben diese Kämpfe - verrät Plinius - habe Nero durch einen geschliffenen Smaragd betrachtet. Konnte er so das Spektakel schärfer sehen? Der grüne Edelstein als frühe antike Sehhilfe? OTON Florian Breitsameter 1 Die Geschichte mit dem Smaragd, die mag stimmen. Das war allerdings gar kein Brilleneffekt, was man heute als Brille kennt, also zum Ausgleich einer Fehlsichtigkeit, sondern was er gemacht hat, war eigentlich sich zu schützen vor dem grellen Licht. Das war eher die Erfindung der Sonnenbrille, mit dem Smaragd. ERZÄHLERIN Sagt Dr. Florian Breitsameter. Er ist im Deutschen Museum München Kurator für Medizintechnik, und hat in der Ausstellung auch der Geschichte der Brille viel Raum gewidmet. Passend zum Thema ist Breitsameter Brillenträger, seit seinem neunten Lebensjahr. OTON Florian Breitsameter 2 Wir sind jetzt in der Ausstellung Gesundheit im dritten Stock des Deutschen Museums. Und wir haben eine Vitrine, die hat ungefähr eine Höhe von 3,50 Meter und geht runter fast bis in Bodenhöhe und haben hier 25 Brillen, die wir hier präsentieren, die auch tatsächlich so einen Gang durch die Geschichte der Brille und die Entwicklung der Brille zeigt. Und das älteste Exponat, was den Ursprung zeigt, ist auf Augenhöhe hier die mittelalterliche Lederbrille. ERZÄHLERIN Denn die Brille als Sehhilfe ist eine Erfindung des Mittelalters. Kaiser Nero und andere antike Römer müssen sich ein paar Jahrhunderte vorher noch anders behelfen. So beklagt sich Cicero in einem Brief an seinen Freund Attikus, dass altersbedingt seine Sehkraft nachlasse und er nicht mehr lesen könne. Seine Lösung: er lässt sich alles von einem Sklaven vorlesen. MUSIK z.B. Der Name der Rose - Main Titles, darüber: ERZÄHLERIN Mit dem Niedergang des Römischen Reichs verschwinden nicht nur die Vorlesesklaven, sondern auch in weiten Teilen der Gesellschaft das Interesse und die Fähigkeit zu lesen, auch im Adel und bei den Regenten. Das Mittelalter: eine Zeit der Analphabeten. Die Kunst des Lesens und Schreibens wird vor allem hinter dicken Klostermauern gepflegt, bei den Mönchen. Die hüten in ihren Bibliotheken wahre Wissensschätze und schaffen mit ihren Handschriften Kunstwerke. Eine Arbeit, die die Augen anstrengt. Viele Mönche leiden mit zunehmendem Alter an Sehschwäche. Ihnen hilft ein so genannter Lesestein, aus einem besonderen Mineral. OTON Florian Breitsameter 3 Das Wort Brille, das kommt eigentlich vom Mineral Beryll, schön klar, kann man gut verarbeiten auch, und daraus waren sogenannte Lesesteine gefertigt. Lesesteine sind eigentlich was relativ Einfaches: ovale Halbkugeln, die man auf etwas drauflegen kann und durch diesen optischen Effekt, wie beim Wassertropfen, vergrößert sich das, was drunter ist. Das kann man Zeile für Zeile abfahren, quasi ein Lupeneffekt. ERZÄHLERIN Experimentierfreudige Mönche finden heraus, dass der Lesestein nichts von seiner vergrößernden Wirkung einbüßt, wenn man ihn flacher schleift. Zudem kann man ihn bequem vors Auge halten, am besten in einem Rahmen aus Holz, Knochen oder Horn, mit einem kurzen Haltegriff versehen. So wird aus dem Lesestein das Einglas. Es muss vor dem Jahr 1300 gewesen sein, vermutlich in Norditalien, als ein erfindungsreicher Geist auf die Idee kommt, zwei solcher Eingläser an den Enden der Haltegriffe zu vernieten. Daraus entsteht die erste Form der heutigen Brille, die Nietbrille. Allerdings kein Modell zum Aufsetzen, seitliche Bügel gibt es nicht. OTON Florian Breitsameter 4 Sie war nicht dafür gedacht, dass man die auf die Nase klemmen konnte, sondern man musste die tatsächlich vor die Augen halten, wenn man was anschauen wollte. Man hat es selber so lange eingestellt, bis man einigermaßen wieder scharf sah. Natürlich mit allen Fehlern, die das Glas damals auch hatte, das heißt, es hatte Schlieren, es hatte im schlimmsten Fall Einschlüsse, war nicht sauber geschliffen, hat an dem Rand schon stark verzerrt, man hatte eigentlich bloß einen kleinen Ausschnitt, wo man wirklich einigermaßen scharf sehen konnte damit. Aber wie gesagt: besser als nichts. MUSIK z.B. Der Name der Rose - End Titles, darüber: ERZÄHLERIN Die Nietbrille hilft vor allem Mönchen beim Lesen und Schreiben. So wird sie beim Volk und auch in der darstellenden Kunst zum Symbol für Bildung und Gelehrsamkeit. Bildhauer und Maler zeigen Propheten und Philosophen gern bebrillt, auch bei Petrus an der Himmelspforte darf die Nietbrille nicht fehlen. Die erste Darstellung einer Brille nördlich der Alpen findet sich 1403 auf dem Altar der Stadtkirche von Bad Wildungen. Der darauf abgebildete „Brillenapostel“ ziert heute noch das Siegel der Kirchengemeinde. SOUND Knarzen, Buchdruck-Presse ERZÄHLERIN Weltliche Brillenträger außerhalb von Klostermauern finden sich erst mit dem Beginn der Neuzeit. Als Johannes Gutenberg 1450 den Buchdruck erfindet, revolutioniert er die abendländische Gesellschaft. Texte sind leicht und billig zu vervielfältigen, der Bildungsdurchschnitt steigt, immer mehr Menschen lernen lesen. Die Nebenwirkung: der Bedarf an Brillen wächst. Der Nürnberger Ratserlass für Brillenmacher von 1478 gibt erste schriftliche Hinweise auf die Herstellung von Brillen in der Stadt. 1535 wird in Nürnberg dann die erste Brillenmacher-Zunft gegründet, Regensburg, Augsburg und Fürth folgen. Die Technik wird immer weiter verfeinert: ab dem 16. Jahrhundert sind konkav geschliffene Gläser gegen Kurzsichtigkeit nachgewiesen. Der im frühen 17. Jahrhundert lebende Philosoph und Naturwissenschaftler René Descartes schreibt über die Bedeutung der Brille: ZITATOR „Unsere gesamte Lebensführung hängt ab von unseren Sinnen, und die Tatsache, dass das Sehen der umfassendste und prächtigste von ihnen ist, lässt keine Zweifel daran, dass alle Erfindungen, die der Erweiterung seiner Kraft dienen, zu den nützlichsten gehören, die es gibt.“ ERZÄHLERIN Abergläubische Menschen wiederum sehen keinen Nutzen in der Brille, sondern halten sie für Teufelszeug. Die Wirkung des geschliffenen Glases können sie sich nicht erklären, also müssen hier dämonische Zauberkräfte mit im Spiel sein. Für dieses Klientel entwickeln findige Wunderheiler die absonderlichsten Arzneien und Augenwässerchen. Wie wäre es mit diesem Rezept aus dem 14. Jahrhundert? ZITATOR Eselsmilch, Majoran, Augentrost, Schöllkraut, Fenchel und Rosskümmel mischen und alles trinken. ERZÄHLERIN Und dann auf die heilende Wirkung warten. 300 Jahre später warnt der Dresdner Okulist Georg Bartisch: ZITATOR Lasst euch nicht auf eine „gefährliche“ Brille ein. Nehmet stattdessen meine Tropfen mit „gepülvert Gämsenleber“ und „gepülvert Rebhühnerherz“. ERZÄHLERIN Andere Arzneibücher empfehlen zur Verbesserung der Sehkraft, sich eine gedörrte Fuchszunge um den Hals zu hängen. MUSIK, evtl. Sarabande Händel (für Welt des reichen Adels) ERZÄHLERIN Wer sich dennoch für die Brille entscheidet, hat die Qual der Wahl. Vom Billigglas bis zur Luxusvariante. Am teuersten und begehrtesten: reines, weißes Glas aus Venedig, von der Glasbläser-Insel Murano. Glas, das standesgemäß in ein exquisites, aufwändig verziertes Gestell eingepasst wird. Vor allem der Adel entdeckt mit der neu erwachten Lust aufs Lesen auch die Brille als modisches Accessoire. Am Spanischen Hof kommt es im 17. Jahrhundert gar zu einem regelrechten Brillen-Hype. Selbst adelige Damen, die sich bester Sehkraft erfreuen, tragen - si claro - Brille, nur eben mit gerahmtem Fensterglas. SOUND (Brillen-)Glas bricht oder knackst ERZÄHLERIN Kaputtes Fensterglas ist leicht auszutauschen. Kaputte geschliffene Gläser passend zu ersetzen hingegen ein Problem. Und wer noch dazu auf edles Murano-Glas beharrt, braucht viel Geduld. Der englische Kanzler, Thomas Morus, hatte wohl eine kaputte Murano-Brille. Doch das neue Glas kam und kam nicht. So musste er sich vom Maler Hans Holbein mit gesprungenem linken Brillenglas porträtieren lassen. OTON Florian Breitsameter 5 Eine ganz interessante Entwicklung ist beispielsweise hier die Glasbrille, das ist quasi so ein Vorläufer der randlosen Brille. Das heißt, Sie haben beide Gläser und der Mittelsteg ist ein Stück aus Glas und links und rechts sind bloß Ösen und damit haben Sie ein Band befestigt und das quasi um den Kopf gebunden und damit hatten Sie eine randlose Brille und konnten damit schön sehen, hatten beide Hände frei auch tatsächlich für Ihre Arbeit und ja, es sah jetzt nicht unbedingt schön aus, aber war relativ praktisch. Aber natürlich, da das Ganze aus einem Stück Glas gefertigt war: wenn die einmal runterfiel, war sie kaputt. Also in der Hinsicht dann doch eher unpraktisch. SOUND Glas zerbricht MUSIK leicht ironisch, z.B. Kite Flying Society, Soundtrack Rushmore ERZÄHLERIN Die Brille mag zwar das Symbol für Bildung und Gelehrsamkeit sein, schnell werden ihre Trägerinnen und Träger aber auch Zielscheibe für Spott. Es gibt Karikaturen über die Büchernarren, die tief in ihre Werke versunken sind und jenseits des Brillenrahmens die Welt gar nicht mehr wahrnehmen. Und neue Wortschöpfungen: Brillenschlange, Blindschleiche. Die Sehkrücke oder das Spekulier-Eisen. Was vom lateinischen Wort „speculare“ für „beobachten“ abstammt. Daher sagt man in den USA zu den Brillen auch „specs“. Aber egal in welchem Jahrhundert - mit ihren „specs“ können sich viele gar nicht anfreunden, jenseits und diesseits des Atlantiks. MUSIK kurz hoch (leicht ironisch, z.B. Kite Flying Society, Soundtrack Rushmore) ERZÄHLERIN Der prominenteste Brillen-Hasser hierzulande: Deutschlands Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Er ist kurzsichtig und kann bei Theaterbesuchen das Ensemble auf der Bühne nur unscharf sehen, was ihn nervt. Noch mehr nerven ihn aber seine Sehhilfen, wie er schreibt: ZITATOR „Sooft ich durch eine Brille sehe, bin ich ein anderer Mensch und gefalle mir selber nicht. Ich sehe mehr, als ich sehen sollte. Die schief gesehene Welt harmoniert nicht mit meinem Inneren, und ich lege die Gläser geschwind wieder weg, wenn meine Neugierde, wie dieses oder jenes in der Ferne beschaffen sein möchte, befriedigt ist.“ ERZÄHLERIN Gesprächspartner, die Brille tragen, sind Goethe höchst suspekt. Mit ihnen könne man sich nicht unbefangen unterhalten. Außerdem – so wird es in Herbert Schwinds Buch über „Brillengeschichten“ zitiert - habe er stets das Gefühl, dass sein Gegenüber ihm bei der erstbesten Gelegenheit etwas Unverschämtes sagen wolle. Gefühle, die Goethe 1827 in dem Gedicht „Feindseliger Blick“ verewigt: ZITATOR Du kommst doch über so viele hinaus, Warum bist du gleich außer‘m Haus, Warum gleich aus dem Häuschen, Wenn einer dir mit Brillen spricht? Du machst ein ganz verflucht Gesicht Und bist so still wie Mäuschen. (…) Was ist denn aber beim Gespräch, Das Herz und Geist erfüllet, Als dass ein echtes Wortgepräg Von Aug zu Auge quillet! Kommt jener nun mit Gläsern dort, So bin ich stille, stille; Ich rede kein vernünftig Wort Mit einem durch die Brille. OTON Florian Breitsameter 6 Es klingt paradox, wir verbinden Goethe mit Dichter und Denker als einen Intellektuellen und heute werden Intellektuelle sehr gern mit Brille gesehen, eigentlich auch dargestellt. Goethe sah das anders, der war sehr eitel, wollte eben als eitler Mensch nicht mit Brille dargestellt werden. Es gibt auch keine Darstellung von ihm mit Brille, man weiß nur, dass er eine Scherenbrille benutzt hat, tatsächlich, wenn es notwendig war. ERZÄHLERIN Eine Scherenbrille, wie sie auch in der Ausstellung im Deutschen Museum München zu sehen ist. Das Konzept der Scherenbrille ist ähnlich dem der Nietbrille, nur dass man sie sich nicht von oben vor das Gesicht hält. Stattdessen nimmt man die beiden längeren Griffe mit den eingefassten Gläsern, klappt das Gelenk wie eine Schere auf und hält sie von unten im passenden Abstand vor die Augen. Manche Modelle haben im Griff gleich ein Etui integriert, so dass die Brille schnell und unauffällig wieder verstaut werden kann. Scherenbrillen sind von 1750 bis ins 19. Jahrhundert hinein im Einsatz. Dann werden sie von der in Frankreich bei adeligen Damen populären Lorgnette abgelöst, der Stiel-Brille. Bei ihr können sich Frauen wie Männer die Brille am Ende eines langen Stiels vors Gesicht halten. Dank eines Kettchens am Stil hängen sich viele die Lorgnette wie ein Schmuckstück um den Hals, aufwändig verzierte, silbern oder golden gefasste Miniaturkunstwerke. Florian Breitsameter zeigt ein besonderes Exemplar, das zugleich als Sehhilfe und als Hörhilfe dienen kann: die Hör-Lorgnette. OTON Florian Breitsameter 7 Das ist ein sehr gutes Beispiel über die Wahrnehmung zwischen schlecht hören und schlecht sehen. Die Hörlorgnette einerseits sieht aus wie eine normale Lorgnette. Das heißt, Sie haben Gläser drin und man hält es sich elegant vor das Auge. Und jeder denkt, ah, die Person sieht schlecht. In Wirklichkeit aber ist es eigentlich ein verstecktes Hörrohr. Wir haben oben am Ende, kurz über den Gläsern, eine kleine Olive. Die können Sie sich ins Ohr stecken. Und unten am Griff ist eine Öffnung und der ganze Griff ist hohl. Und es ist eigentlich nichts anderes als ein langes Schallrohr, ein verstecktes Hörrohr. Denn das Schlechthören war noch peinlicher als das Schlechtsehen. Schlechthören hieß auch, dass man eben Gesprächen nicht gut folgen konnte. Man war schnell die Außenseite. Man ist getrennt von den Menschen. Es gibt zum Beispiel auch den Spruch: „Nicht sehen können, trennt von den Dingen, nicht hören können von den Menschen.“ ERZÄHLERIN Die Brille als modisches Accessoire - etwa in Form einer verzierten Lorgnette. Mit Eleganz und Grazie wird die Sehschwäche kaschiert. Eine Eleganz, die den Hörhilfen fehlt. Das beschleunigt die gesellschaftliche Ausgrenzung und die verhängnisvolle Haltung: Wer schlecht hört, ist auf der Seite der Dummen. Deutlich zeigt dies das englische Wort für taub, deaf, eng verwandt mit dem deutschen Wort doof. OTON Florian Breitsameter 8 Es war viel peinlicher, schlecht zu hören und ein Hörrohr benutzen zu müssen, als es peinlich war, eine Lorgnette oder eine Sehhilfe benutzen zu müssen. Und es hat sich auch heute nichts daran geändert. Im Grunde, ein Mensch, der quasi durch eine Brille sieht, kann man sagen, der wird vielleicht wahrgenommen als intellektuell, als schlau und sonst etwas. Während ein Mensch, der ein Hörgerät trägt, das sieht eher aus wie ein Makel, ehrlich gesagt. Das ist immer noch so in der Gesellschaft. MUSIK preußisch streng, passend zu Monokel/Wiener Kongress ERZÄHLERIN Eine Gesellschaft, die lange Zeit das Tragen einer Brille vor allem den Männern zugesteht. Während die Damenwelt sich nur im Bedarfsfall die Lorgnette vors aparte Gesicht halten soll, wird die Brille zum festen Bestandteil des männlichen Erscheinungsbilds. Preußische Strenge und Autorität vermittelt dabei insbesondere das Monokel, das Einglas, das am Auge eingeklemmt wird. Auf dem Wiener Kongress 1814 bis 1815 zeigen sich die ersten Diplomaten mit Monokel, damals in Österreich als „Ringstecher“ bekannt. Bald wird das Monokel zum Symbol einer elitären Aristokratie und des höheren Militärdienstes. Als Ausdruck einer guten Erziehung zählt in diesen Kreisen eine regungslose Mimik, und die war dringend nötig, um das Einglas im Gesicht zu behalten. Auch das aufstrebende, wohlhabende Bürgertum idealisiert zunehmend eine bewusste, aufrechte Körperhaltung. Die nehmen nicht nur Monokel-Träger ein. Ende des 19. Jahrhunderts werden auch Klemmer oder Kneifer populär. Die hält eine elastische Federspange zwischen den Gläsern auf der Nase, aber da die Seitenbügel fehlen, sind allzu hastige Bewegungen nicht ratsam. So betont der bis zum 1. Weltkrieg beliebte Kneifer eine aufrechte, militärisch stramme Haltung. MUSIK Charleston, Roaring Twenties, kurz ERZÄHLERIN Mit den 1920er Jahren und den aufkommenden Roaring Twenties setzt sich dann die Bügelbrille endgültig durch. Deutsche Firmen wie Zeiss oder Rodenstock revolutionieren mit ihren Patenten den Weltmarkt für geschliffene Gläser. Carl Zeiss etwa patentiert 1936 das Verfahren zur Entspiegelung von Gläsern, allerdings dauert es weitere zwei Jahrzehnte bis Zeiss 1959 als erster Hersteller für den breiten Markt entspiegelte Gläser anbieten kann. In den 1950er Jahren werden auch die ersten Prototypen der Gleitsichtgläser entwickelt, denen dank aufwändiger Berechnungen der nahtlose Übergang von Fern- zu Nahsichtkorrekturen gelingt. SOUND Gläser schleifen ERZÄHLERIN Der Vorgänger der Gleitsichtgläser, die Bifokal-Brille, hat übrigens einen berühmten Erfinder: Benjamin Franklin. Der amerikanische Staatsmann und Verleger entwickelt unter anderem den Blitzableiter und eine frühe Form der Taucherflossen und wird einer der entscheidenden Autoren der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung der Vereinigten Staaten. Ein Mann, der viel liest und schreibt und seine Augen nicht schont. Gegen seine Kurzsichtigkeit trägt Benjamin Franklin eine Fernbrille, für die zunehmende Altersweitsicht braucht er aber eine Lesebrille. Das ständige Wechseln der beiden Brillen wird ihm lästig. Also schneidet er um 1770 die Gläser der beiden Brillen in der Mitte auseinander und setzt die beiden Teilstücke in einer einzigen Fassung übereinander. Mit diesem „Franklin-Glas“ bastelt er sich die erste Bifokal-Brille. Schaut Benjamin Franklin nach unten, kann er lesen. Sieht er nach oben, kann er den Blick in die Ferne schweifen lassen und die Aussicht in allen Details genießen. MUSIK Top Gun Anthem - Harold Faltermeyer ERZÄHLERIN Und heute? Hat die Brille durch die Kontaktlinsen und Laserchirurgie moderne Konkurrenz bekommen - und hat sich dennoch von den Augen dieser Welt einen festen Platz auf Millionen, ach was, auf Milliarden von Nasenflügeln gesichert. Als Sehhilfe und - ebenso wichtig - als Schutz für die Augen, als Sonnenbrille. Die hat sich zum Tausendsassa entwickelt. Schützt vor der Sonne - wie einst Neros grüner Smaragd. Und spielt mit der eigenen Persönlichkeit. Sie lässt einen elegant erscheinen - wie Audrey Hepburn auf Shopping-Tour in „Frühstück bei Tiffany“. Oder heldenhaft cool - wie Tom Cruise im Flieger-Abenteuer „Top Gun“. (Musik kurz frei bzw. hochziehen) Er trägt eine Ray Ban Aviator, mit klassisch grün gefärbten Gläsern, gut gegen UV-Strahlung. Mit ihrem ikonenhaften Design darf sie auch im Deutschen Museum in Florian Breitsameters Sammlung zur Brillengeschichte nicht fehlen. OTON Florian Breitsameter 9 Die klassische Ray Ban Aviator, die man aus Top Gun kennt, ist die erste Art dieser Brille, die für die normalen Gebraucher, also für die normalen Menschen gedacht war. Denn entwickelt wurde diese Brille tatsächlich für Piloten. Und zwar für amerikanische Piloten, die im Krieg sozusagen gegen die Sonne fliegen mussten und deswegen einen guten Schutz für ihre Augen brauchten. Und deswegen hat man extra die Entwicklung einer Sonnenbrille in Auftrag gegeben. Die Besonderheit, was sozusagen immer charakteristisch war für diese Brille, ist oben ein sehr, sehr dicker Steg. Und dieser Steg war gedacht nicht nur für Stabilität, sondern dieser Steg sollte Schweißtropfen, die von der Stirn kommen, aufhalten. Die Sonnenbrille hat sehr stark auch mitgeholfen, dass die Brille etwas Modisches wurde und dann wird es eben zur Normalität etwas auf der Nase zu tragen und wird auch nicht mehr unterschieden, ist es jetzt wegen Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit oder weil ich einen Sonnenschutz will oder ich will einfach modisch eine Brille tragen.…
r
radioWissen


1 Weltweite Lieferketten - Wer verbindet, wer hält, wer bedroht 21:46
21:46
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad21:46
Lieferketten halten die Welt zusammen und sind dabei anfällig für geopolitische Spannungen, Cyberkriminalität und Produktionsbedingungen. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz und die europäische Lieferkettenrichtlinie sollen sie nun transparenter und widerstandsfähiger machen. Digitalisierung ist dabei sehr wichtig. Von Brigitte Kramer Credits Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer Regie: Anja Scheifinger Es sprach: Rahel Comtesse Technik: Klemens Kamp Redaktion: Yvonne Maier Im Interview: Lisandra Flach, Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft und Professorin für Volkswirtschaftslehre an der LMU München Axel Schulte, Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler, Fraunhofer Institut in Dortmund Florian Sachs, Wirtschaftsmathematiker an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Köln Linktipps: Lieferengpassdatenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte HIER Deutsches Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten, kurz: Lieferkettengesetz HIER Europäische Lieferkettenrichtlinie HIER Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER .…
r
radioWissen


1 Valentinstag - Von Märtyrern und Liebenden 21:33
21:33
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad21:33
Auf der ganzen Welt schicken sich Verliebte am Valentinstag Karten und schenken sich Blumen. Haben Floristen das Fest erfunden? Geht es auf den katholischen Schutzheiligen der Liebenden St. Valentin zurück? Oder auf einen alten heidnischen Brauch? Aber wieso kam der Valentinstag dann über die USA nach Europa? Von Frank Halbach (BR 2024) Credits Autor dieser Folge: Frank Halbach Regie: Frank Halbach Es sprachen: Edith Saldanha, Christian Baumann Redaktion: Andrea Bräu Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Das Kamasutra - Leitfaden für Liebe, Erotik und Lebensweise JETZT ANHÖREN Stalking - Wenn die „Liebe“ Wahnsinn ist JETZT ANHÖREN Literaturtipps: Klaus Thiele-Dohrmann: Wenn die Vögel Hochzeit machen. Geoffrey Chaucer und die Geschichte des Valentinstags. In: DIE ZEIT. 08/2004, 12. Februar 2004 – detaillierte Darstellung der Bedeutung von Chaucers Gedicht. Josef Kurz: Recherchen und Gedanken zum Valentinstag. In: idw-online.de, Februar 2007 – verfolgt Ursprünge und Brauchtum des Valentinstages von der Antike bis heute. Manfred Becker-Huberti: 14. Februar: Wenn der Valentin mit der Valentine. In: brauchtum.de, Köln Februar 2005 – analysiert die kirchliche Figur des heiligen Valentin. Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek. ZUM PODCAST Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das vollständige Manuskript gibt es HIER . Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK „Something stupid“; ZEIT: 00:57 SPRECHERIN Alle Jahre wieder: Zwangsverordnete Gefühlsduselei, sentimentale Candlelight-Dinner, pinke Konfektschachteln in Herzform… SPRECHER Am 14. Februar ist Valentinstag: Das Fest der romantischen Liebe SPRECHERIN Begangen mit unzähligen kitschigen Karten, mehr oder weniger geschmackvollen Blumengebinden und sündhaft teuren Pralinen. SPRECHER Zeit, sich endlich mal wieder dran zu erinnern, Partner oder Partnerin zu zeigen, dass und wie sehr man liebt. SPRECHERIN Meinen die einen. Eine Verkaufsstrategie des Blumenhandels im Speziellen und der gesamten Kommerzindustrie im Allgemeinen… SPRECHER …sagen die anderen. SPRECHERIN Gänzlich unromantischer Konsum oder… SPRECHER Eine wirklich alte Tradition – wie immer wieder zu hören und zu lesen ist. SPECHERIN Eine vor gerade Mal einem halben Jahrhundert aus Amerika importierte Tradition. Weil diese neue „alte“ Tradition Rekordumsätze beschert, schimpfen Kritiker. Er gehe doch aber auf den Heiligen Valentin zurück, dessen Gedächtnis am 14. Februar begangen werde, behaupten Verfechter des Valentinstags. MUSIK ENDE MUSIK 2 privat Take 018 „Windflower“; Album: Mortal Engines; Label: Back Lot Music – BLM0759; Interpret: Tom Holkenborg; Komponist: Tom Holkenborg; ZEIT: 01:05 SPRECHER Im 3. Jahrhundert, da lebte in Rom Valentin. Er liebte Dinge, die wachsen, und unter seinen Händen gediehen wunderbare Blumen und sein Garten erblühte zum schönsten der heiligen Stadt, denn der Segen Jesu Christi, den er aus tiefstem Herzen verehrte, lag auf ihm. Aber das war nicht das einzige, was Valentin zum Knospen brachte: Er traute Liebespaare nach christlichem Ritus und schenkte ihnen Blumen aus seinem Garten, um auch ihre Herzen erblühen zu lassen. Ehen, die Valentin derart segnete, standen unter einem besonders guten Stern, waren glücklich und kinderreich. Auch setzte sich Valentin mit Rat und Tat für Liebende ein, indem er mit den Angehörigen sprach, wenn sie einer Verbindung zweier Liebender nicht zustimmen wollten. Doch der römische Kaiser Claudius Gothicus hatte den christlichen Ritus verboten: Er ließ Valentin in den Kerker werfen. Am Abend vor seiner Hinrichtung schrieb er im Auftrag der Tochter seines Gefängniswärters noch einen Brief an ihren Liebsten, um ihr zum Glück zu verhelfen. Am 14. Februar 269 wurde er enthauptet. Seither ist der Märtyrer, der heilige Valentin aus Rom, der Schutzpatron der Liebenden. MUSIK hoch und ENDE SPRECHERIN Diesen heiligen Valentin, Patron der Liebenden, dem am 14. Februar gedacht wird: Es gibt ihn nicht. Jedenfalls nicht mehr. Seit der Reform des römischen Generalkalenders im Jahr 1970 und der anschließenden Reform des Regionalkalenders für das deutsche Sprachgebiet 1972 taucht dieser Heilige weder an diesem noch an sonst einem Tag im liturgischen Kalender auf. SPRECHER Es gibt drei Heilige mit Namen Valentin. Ein heiliger Valentin war Bischof von Rätien. Sein Gedenktag wird aber am 7. Januar begangen. SPRECHERIN Dann gibt es einen Valentin von Rom und einen Valentin von Terni. Womöglich handelt es sich aber bei den beiden um ein und dieselbe Person. Die Überlieferung vermischt beide nämlich. SPRECHER Als der Heilige, der für Liebe und Zärtlichkeit Pate steht, wird in der Regel Valentin von Terni identifiziert. SPRECHERIN Allerdings ist dieser Heilige Vall-entin der Schutzheilige gegen Fallsucht, also Epilepsie. Daher wird er mit einem zu seinen Füßen liegenden Epileptiker dargestellt. SPRECHER Und teilt sich diese Zuständigkeit wiederum mit Valentin von Rätien, der gleichfalls für Epilepsie und außerdem als Patron gegen Krämpfe, Gicht und Viehseuchen zuständig ist. SPRECHERIN Verwirrend. Aber am 14. Februar gefeiert wurde der Tag des Valentin von Terni. SPRECHER Und diesen Tag hat man aus dem liturgischen Kalender gestrichen, da sich die Quellenlage für einen Heiligengedenktag am 14. Februar als nicht stichhaltig herausgestellt hat. SPRECHERIN Was aber viel wichtiger ist: Weder das Leben des Heiligen Valentin, noch seine Wirkung lassen sich in einen Zusammenhang als Schutzpatron der Liebenden bringen. Der Valentinstag als Fest der Liebenden hat mit einem heiligen Valentin nur eines zu tun: den Namen Valentin! Sonst leider nichts. MUSIK privat Take 019 „Something stupid“; Album: Background Music & Sounds From I’m In Records; Label: 2023 Integral Music Group; Interpret: unbekannt; Komponist: Carson Parks; ZEIT: 00:20 SPRECHER Aber woher stammt der Anlass für das Fest der Liebenden am 14. Februar dann? MUSIK hoch und Ende bei 00:20 SPRECHERIN Das ist die Frage. Denn im Mittelalter galt der 14. Februar vielmehr als Unglückstag: Es soll der Geburtstag von Judas gewesen sein, dem Jünger, der Jesus verraten hat. Kälber, die am 14. Februar geboren waren, wurden nicht zur Zucht eingesetzt. Bruthennen durfte man nicht auf die Eier setzen, weil man glaubte, sie würden faulen oder missgestaltete Küken würden aus ihnen schlüpfen. In der Schweiz hat der Valentinstag sogar einer Dämonengestalt, dem „Väledi“, den Namen gegeben, eine Hauptfigur der Steiner Fasnacht. Sein Maskenträger führt den Narrentanzes auf den Dorfplatz an. SPRECHER Blickt man jedoch noch weiter in die Vergangenheit zurück: MUSIK „LUDI INTER PANA“; ZEIT: 00:59 SPRECHERIN In Rom wurde vom 13. bis 15. Februar das Hauptfest des Gottes gefeiert, der als Beschützer der Bauern und Hirten, ihres Viehs und ihrer Äcker galt: Faunus. Die Feierlichkeiten nannte man die Luperkalien, nach dem Beinamen des Gottes: „Lupercus“, was so viel wie „Wolfsabwehrer“ bedeutet. SPRECHER Die Luperkalien waren ein Reinigungs- und Fruchtbarkeitsfest, das man bei Annährung des Frühlings feierte. Und es war bei den Römern Sitte, anlässlich dieser Feierlichkeiten jungen Frauen junge Männer für eine gewisse Frist zuzulosen. Frühe Frühlingsgefühle durften so rituell abgesegnet ausgelebt werden. SPRECHERIN Ganz genau weiß man über diesen Brauch im Rahmen des Festes von Faunus nicht Bescheid. Was man weiß: Die katholische Kirche versuchte nach dem Sieg über das Heidentum, diesem Tag einen gänzlich anderen Anstrich zu verpassen: Statt den Namen eines oder einer Liebsten wurden den jungen Leuten die Namen christlicher Heiliger zugelost, deren Leben, Tugend und Märtyrertum sich der oder die Jugendliche zum Vorbild nehmen sollte. MUSIK ENDE MUSIK privat Take 019 „Something stupid“; Album: Background Music & Sounds From I’m In Records; Label: 2023 Integral Music Group; Interpret: unbekannt; Komponist: Carson Parks; ZEIT: 00:20 SPRECHER Ein früher Fall, wo das Angebot nicht mit der Nachfrage der Zielgruppe übereinstimmt. MUSIK hoch und Ende bei 00:20 SPRECHERIN Das mit dem Losen allerdings: das hat sich bis ins Mittelalter gehalten. MUSIK „ Saltarello Nr. 1. Tanz für Renaissance-Instrumente“; ZEIT: 31 SPRECHER In England konnte am 14. Februar jeder Valentin zu seiner Valentine kommen. Das Schicksal entschied: per Los oder einfach durch die erste Begegnung nach Sonnenaufgang. SPRECHERIN Der unverheiratete junge Mann durfte nun das ledige Mädchen ausführen und so lange als Partnerin betrachten – natürlich bei Wahrung von Sitte und Anstand. SPRECHER Solche Paarbildungen galten als besonders glücksverheißend für eine spätere eheliche Bindung. SPRECHERIN Begleitet wurde dieser Brauch davon, sich gegenseitig kleine Aufmerksamkeiten zu schenken, insbesondere Gedichte: MUSIK ENDE – „The Disposition of Linen“; ZEIT: 01:29 SPRECHER Zwar kenn‘ ich Amor nicht in Tun und Wesen Noch weiss ich, wie er treuen Dienst vergütet, Doch hab in Büchern ich gar oft gelesen, Welch Wunder er vollbringt, und wie er wütet, Und lese, dass als König er gebietet. SPRECHERIN Dichtet der Autor der weltberühmten "Canterbury Tales" Geoffrey Chaucer in den 1380er Jahren. Anlass ist wohl die Vermählung König Richards II. mit Anna von Böhmen. Das Gedicht umfasst 100 Strophen und trägt den Titel: SPRECHER Das Parlament der Vögel SPRECHERIN Wer kennt nicht das Kinderlied: SPRECHER (angedeutet singend) Ein Vogel wollte Hochzeit machen. SPRECHERIN Bei Chaucer geht es schon vor über 600 Jahren um eine solche Vogelhochzeit. Ein Königsadler wirbt leidenschaftlich um eine schöne Adlerdame. SPRECHER Die wird rot wie eine "Rosenblüte im Sommersonnenschein" … SPRECHERIN …und es verschlägt ihr die Sprache. SPRECHER Zwei weitere Adlerjunggesellen melden sich zu Wort. Der Falke plädiert für ein Turnier um die Adlerin. Die Gans merkt an, werde ein Freier nicht erhört, solle er nach einer anderen Braut suchen. Die Turteltaube besteht auf für unbedingter Treue. Der Kuckuck lobt die Vorzüge des Single-Daseins, wofür er vom Falken als selbstsüchtiger Nimmersatt beschimpft wird, da… SPRECHERIN Da greift die Göttin Natur ein: und meint, die ledige Adlerin solle sich entscheiden. Die bittet um ein Jahr Bedenkzeit. SPRECHER Alle anderen Verlobungen im Parlament der Vögel sind schnell vollzogen. Jedes Männchen bekommt ein Weibchen zugewiesen. SPRECHERIN Und alle singen zum Schluss hochzufrieden: SPRECHER Sankt Valentin, du bist der Hochgestellte, für dich die Vögel dieses Lied beginnen: Willkommen, Sommer, der des Winters Kälte durch seine warme Sonne ließ zerrinnen. MUSIK ENDE SPRECHERIN Damals fiel der 14. Februar von heute auf den 23. Februar im Julianischen Kalender. Ab dann würden die Vögel damit anfangen, sich zu paaren und zu nisten. Angeblich beziehe sich Chaucers „Parlament der Vögel“ auf eine bereits etablierte Tradition – belegen lässt sich das aber nicht. SPRECHER Zu Chaucers Zeit wurde noch eine Reihe weiterer Gedichte über Vogelhochzeiten am Valentinstag verfasst. Schwer zu sagen, ob die Gedichte entstanden, weil man dachte, dass die Paarungszeit der Vögel beginne oder ob man wegen der Gedichte daran glaubte, dass ab dem sogenannten Valentinstag, das Federvieh mit seiner Balz anfing. SPRECHERIN Und da die mittelalterlichen Werke über die Vogelhochzeiten nicht exakt zu datieren sind, lässt sich auch nicht sicher sagen, ob Chaucer die Idee als erster hatte. MUSIK “Lamento di Tristano“; ZEIT: 01:07 SPRECHER Im Mittelalter wird aber jedenfalls zu ersten Mal der 14. Februar als jährlich wiederkehrendes Fest der Liebe beschrieben: In der „Charter of the Court of Love“, entstanden um das Jahr 1400, werden Festlichkeiten des königlichen Hofes von Karl VI. von Frankreich beschrieben. In der Stadt Mantes-la-Jolie gab es ein Festmahl, Tanz, Turnierkämpfe sowie Wettbewerbe in Liebesliedern und –poesie. SPRECHERIN Allerdings lassen sich keinerlei weitere Quellen des Hofes zu diesem Fest finden. Und von den in der Charta erwähnten Persönlichkeiten war keine in Mantes-la-Jolie, außer der Königingemahlin, der Wittelsbacher Prinzessin Isabeau de Bavière, so dass die Darstellung des Festes wahrscheinlich nur den niedergeschriebene Wunschtraum der Prinzessin darstellt. SPRECHER Herzog Karl von Orléans schreibt im Jahr 1415 nach der Niederlage bei der Schlacht von Azincourt während er als Gefangener im Tower schmachtet, an seine Frau: SPRECHERIN (wie den Brief lesend) Ich bin schon krank vor Liebe, meine süße Valentine… SPRECHER Und in einem der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, William Shakespeares „Hamlet“, singt Ophelia: SPRECHERIN Auf morgen ist Sankt Valentins Tag, Wohl an der Zeit noch früh, Und ich, ’ne Maid, am Fensterschlag, Will sein eu’r Valentin. Er war bereit, tät an sein Kleid, Tät auf die Kammertür, Ließ ein die Maid, die als ’ne Maid Ging nimmermehr herfür. MUSIK ENDE SPRECHER Durch Chaucer, Shakespeare und andere britische Poeten gewinnt der Valentinstag im englischen Sprachraum nach und nach einen immer höheren Stellenwert, und Liebesgedichte zum Valentinstag werden zu einer romantischen Erfolgsgeschichte. MUSIK „The Draughtsman's Contract” SPRECHERIN Und zu einem Riesengeschäft: Im Jahre 1797 kam das Buch „The Young Man’s Valentine Writer“ heraus, voll mit Versen für junge Liebhaber, die nicht selbst dichten konnten. Druckereien hatten zu diesem Zeitpunkt schon begonnen, Valentinskarten herzustellen: Die so genannten „Mechanical Valentines“. Anfang des 19. Jahrhundert waren sie so beliebt, dass man sie in Fabriken produzierte. Als in Großbritannien 1840 die Briefmarke eingeführt wurde, und damit zugleich das Karten verschicken erheblich billiger wurde, kam es zu einem regelrechten Valentinskarten-Tsunami: 400.000 Stück waren es zum Valentinstag 1841. SPRECHER Ein weiterer Vorteil der britischen Postreformen: Man konnte Karten ohne Absender verschicken. In der prüden viktorianischen Epoche ließ sich so Liebe und Lust aus der Ferne gestehen, ohne dass man seine Identität preisgeben und damit sein Gesicht verlieren musste. SPRECHERIN Die Feierlichkeiten, Traditionen und Bräuche zum Valentinstag, die sich seit der frühen Moderne in England ausgebildet hatten, gelangten im 19. Jahrhundert durch Auswanderer in die Vereinigten Staaten. Und damit auch das Geschäft mit den Valentinskarten. Hier wurden ab 1848 von Esther Howland aus Worcester, Massachusetts, die ersten in Massenproduktion hergestellten Valentinstagskarten vertrieben. SPRECHER Valentinstag wird, beziehungsweise ist bereits, ein nationaler Feiertag. SPRECHERIN Bemerkt ein amerikanischer Journalist bereits 1849. Damit wurde das Geschäft mit dem Valentinstag zum Wegbereiter weiterer kommerzialisierter Feiertage. SPRECHER 1868 erfand der britische Schokoladenhersteller Cadbury verzierte Pralinenschachteln in Herzform, die man zum Valentinstag verschenken konnte. SPRECHERIN Und im 20. Jahrhundert waren aus dem Brauch des Karten- und Gedichte-Austauschs Geschenke jeder Art geworden, insbesondere erhältlich bei Tiffany & Co oder Cartier. Im Jahr 2016 gaben allein die US-Amerikaner 19,7 Milliarden Dollar für Karten, Blumen, Pralinen und andere Geschenke zum Valentinstag aus. MUSIK ENDE SPRECHER In Amerika entwickelte sich der Valentinstag weiter: Vom Tag der Liebenden über einen Tag der familiären Beziehungen bis zu einem Tag der Freundschaft. SPRECHERIN Kein Wunder: Das erweitert die Absatzmöglichkeiten nochmal erheblich. SPRECHER Ab wann genau das Valentinsbrauchtum im deutschen Sprachraum eine Rolle spielt, lässt sich nicht mehr herausfinden. SPRECHERIN Aus dem Spätmittelalter ist die Bezeichnung Vielliebchentag überliefert. Das trifft nicht nur die ursprünglichere Bedeutung des Tages besser, sondern trennt ihn von einer nicht vorhandenen Verbindung zu einem heiligen Valentin. SPRECHER Spätestens ab den 1950er Jahren gewinnt der Valentinstag auch bei uns eine immer größere Rolle. SPRECHERIN In Westdeutschland bekannt wird er vor allem durch hier stationierte US-Soldaten. 1950 findet in Nürnberg der erste deutsche „Valentinsball“ statt. Als „weltlicher“ Feiertag steht er jedoch lange im Schatten des Muttertags. SPRECHER Der Valentinstag wird aber immer wichtiger. Und zwar in ganz Europa. Er hat es sogar bis nach Lateinamerika, Singapur, Südkorea und Japan geschafft. Und sogar die katholische Kirche bemüht sich mittlerweile, den Valentinstag zu integrieren. Ehepaare werden eigeladen, ihr Eheversprechen zu erneuern, „Segensfeiern am Valentinstag“ veranstaltet, Verlobte dürfen den Beistand Gottes in der Vorbereitung auf die Ehe erbitten, und in der Predigt und in den Gebeten wird darauf hingewiesen, dass Gott die Quelle der Liebe und der Treue ist. MUSIK privat Take 019 „Something stupid“; Album: Background Music & Sounds From I’m In Records; Label: 2023 Integral Music Group; Interpret: unbekannt; Komponist: Carson Parks; ZEIT: 00:20 SPRECHERIN Damit folgt man dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Konsum als Förderer der Liebe? MUSIK hoch und Ende bei 00:20 SPRECHER Und Schuld an allem sind – könnte man zusammenfassend sagen - die alten Römer mit ihrem Faunus-Fest, den Luperkalien. SPRECHERIN Eine zwar spekulative, aber sehr einleuchtende Herleitung. Seit dem 18. Jahrhundert ist die Idee verbreitet, dass der Valentinstag die Bräuche der Luperkalien verewigt. SPRECHER Vor allem durch das Werk „The Lives of the Fathers, Martyrs, and Principal Saints“ des englischen katholischen Priesters und Heiligenforschers Alan Butler, aber auch durch Schriften mehrerer anderer Forscher. SPRECHERIN Butlers Theorie ist heute gemeinhin akzeptiert. SPRECHER Chaucers Gedicht „Das Parlament der Vögel“ ist dann einer der ersten Hinweise, dass der Tag des Heiligen Valentin etwas mit dem Tag der Verliebten zu tun hat. SPRECHERIN Ein Heiliger, dessen Leidensgeschichte und dessen Existenz offenbar erfunden sind. „Schuld“ am Valentinstag sind allerdings nicht einfach die Römer, sondern genau genommen doch die katholische Kirche. SPRECHER Aber hat die den Heiligen nicht abgeschafft? SPRECHERIN In dem Fall liegt die Schuld bei Papst Liberius, dessen Pontifikat von 352-366 währte. Ursprünglich fiel das kirchliche Fest von Christi Geburt auf den 6. Januar – den Tag den heute noch die orthodoxen Kirchen als den Geburtstag Jesu feiern. Papst Liberius aber verlegte 354 die Feier des Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember. In erster Linie, um jegliche Verbindung zum heidnischen Sonnenkult zu kappen – denn der 6. Januar war das Fest des römischen Sonnengottes Sol invictus – die unbesiegbare Sonne. Aber was hat Weihnachten mit dem Valentinstag zu tun? SPRECHER Nach mosaischem Gesetz musste ein Neugeborener, und damit auch Jesus, nach vierzig Tagen in den Tempel gebracht werden. Dieser Tag wird als "Darstellung des Herrn" gefeiert. Der erstgeborene Sohn wurde als Eigentum Gottes angesehen, dem Tempel übergeben und musste traditionell durch ein Geldopfer ausgelöst werden. Der Tag ist auch als „Mariä Lichtmess“ oder „Mariä Reinigung“ bekannt, da eine Frau gemäß mosaischem Gesetz nach Geburt eine Knaben 40 Tage als unrein galt und sich einem Reinigungsritual unterziehen musste. SPRECHER Als Weihnachten noch am 6. Januar gefeiert wurde, war 40 Tage später: SPRECHERIN Der 14. Februar. SPRECHER Und wenn Weihnachten auf den 25. Dezember vorverlegt wird, fällt Mariä Lichtmess… SPRECHERIN Auf den 2. Februar, an dem sie noch heute gefeiert wird. Der 14. Februar aber wurde dadurch zu einem leeren Tag, einer Art Loch im Kalender, das gestopft werden wollte. MUSIK 1 „Something stupid“; ZEIT: 01:01 Sprecher (bewundernd) Man nehme einen Heiligen namens Valentin, setzte seinen Todestag auf den vakanten 14. Februar und male den Tag im Laufe der Zeit mit brauchtumsstützenden Ereignissen aus. SPRECHERIN Man nehme ein uraltes Fest, in diesem Fall eines, das irgendwie mit Liebe zu tun, und sehe, wie man maximal Profit daraus schlagen kann. SPRECHER Aber rote Rosen, ein paar Pralinen und ein romantisches Gedicht haben noch niemandem geschadet. Und heute lassen sich digitale Valentinswünsche und animierte Grußkarten online völlig kostenlos verschicken. MUSIK hoch und ENDE…
r
radioWissen


1 Romeo und Julia - Die tragische Lovestory 22:46
22:46
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad22:46
Sie sind das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur, Stoff zahlloser Theaterstücke, von Musik und Kinofilmen - und längst Synonym für alle herzergreifenden Liebesbeziehungen: Romeo und Julia. William Shakespeares Liebesdrama hat sie zur berühmtesten Liebesgeschichte aller Zeiten gemacht. Von Frank Halbach (BR 2022) Autor dieser Folge: Frank Halbach Regie: Frank Halbach Es sprachen: Christiane Roßbach, Edith Saldanha, Sven Hussock Technik: Roland Böhm Redaktion: Susanne Poelchau Das vollständige Manuskript gibt es HIER .…
r
radioWissen


1 Die Bewerbung - Betteln, Posen, Aufpolieren 23:05
23:05
Spela Senare
Spela Senare
Listor
Gilla
Gillad23:05
Was für eine Gratwanderung. Wer sich um eine Arbeitsstelle bewirbt, muss eigene Ansprüche formulieren und zugleich versuchen, mögliche Erwartungen des Gegenübers zu erfüllen. Außerdem gilt: bloß nicht bedürftig wirken! Das war vor 200 Jahren anders. Damals schrieben Jobsuchende noch richtiggehend Bettelbriefe. Von Justina Schreiber (BR 2023) Credits Autorin dieser Folge: Justina Schreiber Regie: Irene Schuck Es sprachen: Berenike Beschle, Florian Schwarz Technik: Ruth-Maria Ostermann Redaktion: Susanne Poelchau Im Interview: Dr. Timo Luks, Historiker, und Klaus-Dieter Böse, Karrierecoach Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Erben und Vererben - Was steckt hinter dem Streit ums Geld? JETZT ANHÖREN Literaturtipps: Timo Luks, „In eigener Sache: Eine Kulturgeschichte der Bewerbung“ – gut geschriebenes, fachlich kompetentes Buch, das die Historie der Bewerbung vom Bittschreiben bis zur Selbstinszenierung an Hand schöner Beispiele darstellt. Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört. ZUM PODCAST Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de . RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN Das Manuskript zur Folge gibt es HIER .…
Välkommen till Player FM
Player FM scannar webben för högkvalitativa podcasts för dig att njuta av nu direkt. Den är den bästa podcast-appen och den fungerar med Android, Iphone och webben. Bli medlem för att synka prenumerationer mellan enheter.