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Bis in die jüngste Vergangenheit war der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass in den ersten Jahrzehnten nach 1945 Tausende Kinder in öffentlichen und privaten Erziehungsheimen Österreichs lebten. Noch weniger bekannt war, dass sie diesen Anstalten auf eine Weise ausgeliefert waren, die heute kaum noch vorstellbar ist. Dass darüber nun ansatzweise Informationen vorliegen, ist einer neuen politischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit und einem neuen Mut zur Aussage geschuldet – gerade auch von Betroffenen. Es zeigt sich eine unermessliche Geschichte der Gewalt. Wie sie geschehen konnte, welche Verhältnisse und Gelegenheitsstrukturen sie so lange aufrecht erhielten, wie sie heute zu vermeiden wäre, darum soll es auf der Tagung unter anderem gehen. Ein Gutteil der früheren gewalttätigen Erziehungspraktiken wurde im Namen der Pädagogik (und ihren frühen Gliederungen: der Fürsorgeerziehung, der Heim- und Heilpädagogik) getätigt und nicht etwa, wie aus heutiger Sicht zu vermuten wäre, gegen sie. Eine Vergegenwärtigung der Geschichte der Erziehungsheime und eine eingehende Befassung mit dem Thema der Heimerziehung scheint deshalb auch und gerade im Kontext der Disziplin Erziehungswissenschaft geboten. Aus diesem Grund ist die Veranstaltung am Institut für Erziehungswissenschaft angesiedelt. Deshalb auch beschäftigt sich ein Abendvortrag (Gebhardt) mit eben dieser systematischen (Gewalt) Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert. Die meisten Forschungen zur Heimgeschichte haben in Österreich erst vor kurzem und im Anschluss an die Debatten um (sexualisierte) Gewalt in Heimen und Internaten begonnen. Die aktuellen Forschungen, deren einer Teil auch am Veranstaltungsort – den Innsbrucker Erziehungswissenschaften – unternommen wird, zeigen: Ohne eine Analyse des strategischen Zusammenwirkens zwischen Medizin, Psychiatrie, Pädagogik, Justiz und Politik ist das Funktionieren des geschlossenen und gewaltförmigen Systems der Erziehungsheime der Zweiten Republik in Österreich nicht aufzuklären. Drei Säulen machen hierorts das Fürsorgeerziehungssystem aus: die Fürsorgebehörde, das Erziehungsheim und die Kinderpsychiatrie. Hinzu kommen als flankierende Größen die (Sonder-)Schule und die Behindertenhilfe. Es ist die Effizienz dieser Symbiose, die als Ensemble zusammenwirkender Kräfte, Apparate, Institutionen und Diskurse das historische Fürsorgeerziehungsregime kennzeichnen. Der Vor-, Früh- und Zeitgeschichte dieses Zusammenhangs soll deshalb auch ein wesentlicher Teil der Tagung gewidmet sein. Sechs Kurzstatements werden sich mit eben diesen Perspektivierungen der Heimgeschichteforschung beschäftigen (Bechter, Bergmann, Guerrini, Ralser, Rathmayr, Schönwiese, Wolf) und sie zur Diskussion stellen. Ein anderer wesentlicher Schwerpunkt der Tagung ist den gegenwärtigen Forschungen in verschiedenen Bundesländern Österreichs zur regionalen Heimgeschichte und ihren Ergebnissen und weiteren Vorhaben gewidmet. ExpertInnen aus Wien, Oberösterreich, Salzburg und Tirol kommen miteinander ins Gespräch (Bauer, Bechter, Guerrini, Hoffmann, John, Kubek, Ralser, Sieder, Smioski) und in Austausch mit KollegInnen aus Forschungs- und (Selbst)Vertretungskontexten in Deutschland und der Schweiz (Kuhlmann, Huonker). Mit einer einführenden Rahmenerzählung über „Erziehungshilfen“ (resp. die Jugendwohlfahrt) von ihren Anfängen bis heute beginnt die Veranstaltung (Thiersch). Die Tagung verfolgt drei Ziele: Sie möchte die in den einzelnen österreichischen Bundesländern zur Geschichte der Heimerziehung und der Erziehungsheime begonnenen Forschungen zusammenführen und miteinander ins Gespräch bringen, sie möchte diese mit den Erfahrungen der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen in Deutschland und der Schweiz konfrontieren und sie möchte einen ersten Impuls setzen, die theoretischen und methodologischen Perspektivierungen einer interdisziplinären Heimgeschichtsforschung zu diskutieren. Seit den Anfängen der Fürsorgeerziehung zielt diese mit ihrem Schlüsselbegriff der Verwahrlosung auf die marginalisierten Schichten einer jeden Gesellschaft. Das zeitgenössische Tugendverständnis hielt zudem eine für die befürsorgten Mädchen und Buben folgenreiche unterschiedlich ausbuchstabierte Moral bereit. Die Geschichte der Fürsorgeerziehung ist damit immer auch Sozial- und Geschlechtergeschichte. Auch dieser Perspektive wird die Tagung Rechnung tragen. Kooperationspartnerin ist die Interfakultäre Forschungsplattform Geschlechterforschung der Universität Innsbruck.
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